05.04.2023
Das LSG Niedersachsen-Bremen hatte über den sozialversicherungsrechtlichen Status einer Ärztin zu entscheiden.
1. Gegen die Feststellung ihrer abhängigen Beschäftigung durch die Rentenversicherung klagten die Ärztin und das Unternehmen, für das sie tätig war. Dieses bot Unterstützungsleistungen namentlich für Taucher an. Im „Unterstützungspaket“ war u. a. eine Auslandsreisekrankenversicherung enthalten sowie eine ärztliche Notrufhotline, die Organisation einer etwa nötig werdenden Krankenhausbehandlung oder die Durchführung von Rücktransporten.
Das klagende Unternehmen schloss mit verschiedenen Ärzt:innen mit tauchmedizinischer Erfahrung Vereinbarungen über die Beratung von Kund:innen direkt auf deren medizinische Anfragen über die Hotline oder per E-Mail und auch über die Beratung des Unternehmens, etwa hinsichtlich erforderlicher Behandlungen oder Rücktransporten. Es erfolgte eine Einteilung in Schichten mit je zwei erreichbaren Ärzt:innen entsprechend deren Angaben zu ihrer Verfügbarkeit. Diese sollten typischerweise von zu Hause agieren oder auch aus einem anderweitigen dienstlichen Umfeld heraus. Sie meldeten sich am Telefon mit dem Namen des Unternehmens unter Hinzufügung ihres eigenen Namens. Anrufe und Auskünfte waren vor Schichtende in der Datenbank des Unternehmens so zu dokumentieren, dass eine kontinuierliche Betreuung durch die folgenden Schichten gewährleistet war. Das Unternehmen teilte auch für Zweifelsfälle einen „medizinischen Koordinator“ ein. Das Unternehmen stellte eine fachliche Arbeitshilfe in Form einer Art Handbuch zur Verfügung.
Die klagende Ärztin wurde in diesem Rahmen in Bereitschaftsdienst und Beratung innerhalb der Hotline und per E-Mail sowie in der ärztlichen Koordination tätig; hierfür stellte das Unternehmen ihr ein Mobiltelefon. Es gab auch gelegentlich, gesondert honoriert, eine Teilnahme an Ärztetreffen und Besprechungen, wo sie auch referierte.
Hauptberuflich arbeitete die Klägerin an verschiedenen Krankenhäusern als Oberärztin, nebenberuflich auch als Rettungsärztin. Insgesamt war die Klägerin über etwa sechs Jahre bei der Hotline tätig. Beispielhaft werden im Urteil Monatsvergütungen zuletzt in einer Größenordnung zwischen 200 und 450 € genannt.
2. Der Rentenversicherungsträger bejahte im Statusfeststellungsverfahren entgegen der Auffassung von Unternehmen und Ärztin eine abhängige Beschäftigung und eine Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung.
Das Sozialgericht Bremen hob die Bescheide auf und stellte fest, die Ärztin unterliege nicht der Versicherungspflicht.
3. Das sah das LSG anders. Auf die Berufung des Rentenversicherungsträgers hin hat das LSG zwar die Bescheide auch nur teilweise bestehen lassen: Es liege - wegen Geringfügigkeit - keine Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung vor, sondern nur in der Rentenversicherung (die Ärztin hatte insoweit keinen Antrag auf Befreiung gestellt).
Im Kern aber bestätigte das LSG unter ausführlicher Darstellung der Merkmale der Tätigkeit das Vorliegen einer abhängigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und fügt sich damit in das Bild der gängigen Rechtsprechung ein.
Im Ergebnis sei die Ärztin in den Arbeitsprozess des Unternehmens „im Sinne einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe eingebunden“ gewesen, eine von den Gerichten gern verwendete Formel, wenn die Betroffenen tatsächlich recht frei über ihre (qualifizierte oder leitende) Arbeit bestimmen können.
Dass Ärzte bei medizinischen Heilbehandlungen und Therapien grundsätzlich frei und eigenverantwortlich handelten, lasse nicht ohne Weiteres auf eine selbständige Tätigkeit schließen. Es sei auch von den Hotlineärzten eine besondere Verlässlichkeit bei der Sicherstellung ihrer telefonischen Erreichbarkeit erwartet worden. Unternehmerische Chancen und Risiken für die Ärztin seien nicht ersichtlich.
In Anbetracht der vielfältigen heutigen Möglichkeiten im Homeoffice zu arbeiten, sei auch die Weisungsfreiheit hinsichtlich des Orts der Tätigkeit „kein taugliches Abgrenzungskriterium mehr“.
Plagemann Rechtsanwälte
Ansprechpartner:innen:
Prof. Dr. Hermann Plagemann, Dr. Jana Schäfer-Kuczynski, Martin Schafhausen