08.05.2019
1. Im Rahmen der Bekämpfung von Schwarzarbeit hatte das Hauptzollamt die Rentenversicherung über den Verdacht gegen ein Bauunternehmen und seinen Geschäftsführer informiert, dass Arbeitnehmer nicht ordnungsgemäß zur Sozialversicherung angemeldet worden seien. Daraufhin führte die Rentenversicherung bei dem Bauunternehmen eine Betriebsprüfung durch. Sie kam zum Ergebnis, dass keine ordnungsgemäßen Stundenaufzeichnungen geführt worden seien; es seien Scheinrechnungen zur Verdeckung der Zahlung von Schwarzlöhnen gefunden worden; eine Person sei vorgeblich selbstständig tätig geworden, tatsächlich aber sozialversicherungspflichtig gewesen. Da keine eindeutige Zuordnung zu einzelnen Arbeitnehmern möglich gewesen sei, schätzte die Rentenversicherung die nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträge und nahm eine Nettolohnhochrechnung vor. Auf dieser Grundlage forderte sie per Bescheid von dem Bauunternehmen für einen Zeitraum von 5 ½ Jahren rund 1 Mio. € Sozialversicherungsbeiträge nach und zusätzlich rund 600.000 € Säumniszuschläge.
Das Bauunternehmen erhob hiergegen Widerspruch. Ein solcher Widerspruch gegen eine Beitragsforderung hat keine aufschiebende Wirkung. Es besteht also trotz Widerspruch sofortige Zahlungspflicht und auch Vollstreckbarkeit. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheides lehnte die Rentenversicherung ab. 2. Daraufhin beantragte das Bauunternehmen beim Sozialgericht München einstweiligen Rechtsschutz: Es bestünden nicht nur Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides, sondern die Vollziehung hätte auch eine unbillige Härte zur Folge, da Zahlungsunfähigkeit drohe und somit ein Insolvenzverfahren einzuleiten sei, was den Verlust der Arbeitsplätze bedeute. Das Sozialgericht lehnte den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab. 3. Dagegen richtete sich das Bauunternehmen mit einer Beschwerde ans Bayerische LSG. In der Zwischenzeit hatte das Bauunternehmen auch einen Stundungsantrag bei der Krankenkasse gestellt, an die der größte Teil der Beitragsnachforderung zu zahlen war. Es wurde eine zunächst auf 12 Monate befristete Stundungsvereinbarung mit monatlichen Tilgungsraten von 8.000 € geschlossen. Grundsätzlich kann die aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels gegen einen Beitragsbescheid angeordnet werden, wenn - entweder ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides bestehen oder - die sofortige Vollziehung für den Zahlungspflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Das LSG Bayern gab der Beschwerde statt und ordnete die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Bauunternehmens gegen den Beitragsbescheid an. a) Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides, die für die Herstellung der aufschiebenden Wirkung ausreichen würden, hatte es allerdings nicht. Der Erfolg des Widerspruchs sei nicht wahrscheinlicher als der Misserfolg. Das LSG meinte sogar, es spreche einiges dafür, dass Scheinselbstständigkeit vorgelegen habe, der Mindestlohn unterschritten worden sei und Arbeitnehmer nicht ordnungsgemäß zur Sozialversicherung angemeldet worden seien, „sodass damit wohl eine Beitragsnachforderung dem Grunde nach gerechtfertigt sein dürfte“. Andererseits aber könne auch nicht von einer „offensichtlichen Rechtmäßigkeit des Beitragsnachforderungsbescheids“ ausgegangen werden. Die Überprüfung vor allem der Grundlagen und der Höhe der Forderung müsse „einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben“.b) Sehr wohl aber habe nach Auffassung des LSG das die Beschwerde führende Bauunternehmen glaubhaft gemacht, dass die Verweigerung der Aussetzung der Vollziehung eine unbillige Härte zur Folge hätte.
Klar ist für das LSG, dass eine unbillige Härte nicht schon dann vorliegt, wenn (nur) „ernsthafte Liquiditätsprobleme“ bestehen, da die Beitragslast schließlich jeden Beitragspflichtigen treffe. Anders sei es bei drohender Zahlungsunfähigkeit. Dazu legt das LSG verschiedene Auffassungen in der Rechtsprechung dar. Manche Gerichte verträten die Auffassung, dass schwierigen Vermögensverhältnissen nur dann Relevanz im Eilverfahren zukomme, wenn es sich gerade nur um einen vorübergehenden finanziellen Engpass bei grundsätzlich ausreichender Ertragssituation handele, der schon mit Zahlungserleichterungen, z. B. Ratenzahlung, nachhaltig behoben werden könne. Andere würden auch bei aktuell drohender Insolvenz einer Aussetzung zustimmen, wenn dann die Durchsetzbarkeit der Forderung bei einem Abwarten der Hauptsache nicht weiter gefährdet wäre. Das LSG Bayern selbst aber hält die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ohne weiteres auch dann für möglich, wenn schlüssig belegt ist, dass durch die sofortige Zahlung der Beitragsnachforderung Zahlungsunfähigkeit und Insolvenz droht oder die Existenz gefährdet wird. Einen solchen Fall sah das LSG hier durch Darlegungen des Steuerberaters ausreichend glaubhaft gemacht. Es gebe bei dem betroffenen Bauunternehmen kein kurzfristiges und langfristiges Nettovermögen und damit keine ausreichenden finanziellen Reserven für die sofortige Begleichung der Forderung. Von seinem vorausgegangenen Ergebnis, dass es nämlich eigentlich vom Vorliegen von Scheinselbstständigkeit ausging, ließ es sich in diesem Stadium der Prüfung nicht beeinträchtigen. c) Darüber hinaus weist das LSG auch noch auf weitere Umstände hin, ohne dass diese aber für seine Entscheidung notwendig gewesen sein dürften. Zum einen würde durch die Beitreibung der Forderung die Existenz der Arbeitsplätze in dem Bauunternehmen bedroht, die bei der möglichen Aufrechterhaltung des operativen Betriebes nicht gefährdet seien. Außerdem habe das Bauunternehmen versichert, an einer moderaten Zahlung der Beitragsrückstände mitzuwirken und dies auch durch Abschluss der Stundungsvereinbarung und Zahlung der ersten Rate unter Beweis gestellt. d) In diesem Zusammenhang stellt das LSG auch klar, dass verfahrensrechtlich der bei Gericht angebrachte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und der bei der Krankenkasse als Einzugsstelle angebrachte Antrag auf Stundung parallel nebeneinander zulässig sind und sich nicht ausschließen. 4. Wie auch dieses Verfahren zeigt, ist nach Erlass einer Beitragsnachforderung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs oftmals für die betroffenen Unternehmen von existenzieller Bedeutung. Um diese zu erreichen, sollte in erster Linie geprüft werden, welche wesentlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Forderung vorgebracht werden können (dies führte im oben geschilderten Fall nicht zum Erfolg). Zum anderen kann versucht werden, eine unbillige Härte in Abwägung zu öffentlichen Interessen geltend zu machen. Dabei kann es in der Tat problematisch sein, mit einer drohenden Insolvenz zu argumentieren. Denn das könnte den Standpunkt zur Folge haben, dass dann erst recht zunächst einmal die Sozialversicherungsbeiträge durch sofortige Eintreibung gesichert werden sollen. Das LSG Bayern würde so aber offenbar nicht argumentieren. Jedenfalls muss eine wirtschaftliche Notlage detailliert dargelegt und glaubhaft gemacht werden; pauschale Behauptungen reichen nicht aus. Unterstützend können weitere Umstände wirken, so etwa die Verhandlung über Ratenzahlungen und dann selbstverständlich die Einhaltung getroffener Vereinbarungen.Ursula Mittelmann