„Nettolohnoptimierung“: Gehaltsverzicht, aber (kompensatorische?) Zulagen – sozialversicherungsfrei? (BSG 13.05.2025)

Das Bundessozialgericht (BSG) hat am 13.05.2025 eine Entscheidung in einem Verfahren über eine sozialversicherungsrechtliche Betriebsprüfung gefällt.

1.

Ein Unternehmen hatte mit 21 seiner Beschäftigten arbeitsvertragliche Vereinbarungen über einen Gehalts-/Lohnverzicht in individueller Höhe, bezogen auf die Grundvergütung, getroffen.

Außerdem wurde jeweils aber auch eine „Vereinbarung über Zusatzleistungen“ geschlossen; die konkrete Art der Zusatzleistungen war bei den Beschäftigten unterschiedlich. Es ging um Beträge zu den Aufwendungen der Beschäftigten für die Internetnutzung, Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeit, Zuschüsse zur Kinderbetreuung und die Bereitstellung von Restaurantschecks. Die Leistungen wurden (bis auf die Restaurantschecks) als „freiwillig“ und „ohne Begründung einer Rechtspflicht auf weitere Zahlungen in der Zukunft“ bezeichnet.

Auf alle diese Zusatzleistungen führte das Unternehmen keine Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen ab.

Das rügte die Rentenversicherung in der Betriebsprüfung und machte für die vier geprüften Jahre eine Nachforderung an Beiträgen und Umlagen in Höhe von rund 23.000 € geltend.

Dagegen wandte sich das Unternehmen, eine GmbH, zunächst mit einem Widerspruch und sodann mit einer Klage. Das Sozialgericht Karlsruhe gab der Klage statt. Und die Berufung der Rentenversicherung hiergegen wies das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg am 12.05.2023 zurück (L 8 BA 373/22). Das LSG ließ aber die Revision zu. Die Beschäftigten wurden zum Verfahren „beigeladen“.

Zugespitzt geht es um die Frage, ob und inwieweit durch die konkrete Gestaltung der Ansprüche der Beschäftigten Sozialversicherungsbeiträge minimiert werden können. Die Rentenversicherung sprach in ihrem Bescheid von „Entgeltoptimierung“; das Sozialgericht von (im vorliegenden Fall von ihm allerdings als zulässig angesehener) „Nettolohnoptimierung“.

2.

Wie sich aus dem Terminbericht des BSG vom 14.05.2025 ergibt, hat es das Urteil des LSG aufgehoben, aber selbst in der Sache mit seinen Aussagen nur teilweise Klarheit geschaffen. Es hat den Rechtsstreit ans LSG zurückverwiesen und diesem aufgegeben, welche Feststellungen es noch treffen muss, um darüber entscheiden zu können, ob auf die Zusatzleistungen der Klägerin an ihre Beschäftigten Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen zu zahlen sind.

a)

Die Beiträge zur Sozialversicherung werden in Beschäftigungsverhältnissen (bis zu einer „Beitragsbemessungsgrenze“) aus dem „Arbeitsentgelt“ erhoben. Das sind nach § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IV grundsätzlich „alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden“. Satz 2 der Vorschrift enthält außerdem auch ein Abzugsverbot für zu Altersversorgungszwecken umgewandeltes Entgelt.

Das LSG hob in seinem Urteil hervor, dass dieses „Bruttolohnprinzipverhindere, dass durch Abzüge ein „arm rechnen“ stattfinde und Versicherungs- und Beitragspflicht umgangen werde.

Andererseits erlaubt aber § 17 SGB IV ausdrücklich, dass im Wege der Verordnung Abweichungen dahingehend bestimmt werden können, „dass einmalige Einnahmen oder laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse oder ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen und Gehältern gewährt werden, und steuerfreie Einnahmen ganz oder teilweise nicht als Arbeitsentgelt gelten“.

Eine solche Verordnung stellt die SozialversicherungsentgeltverordnungSvEV dar.

Nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 2 SvEV sind dem (beitragsunterworfenen) Arbeitsentgelt nicht zuzurechnen u. a. „laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, soweit sie lohnsteuerfrei sind“ und soweit sie für den jeweiligen Abrechnungszeitraum „lohnsteuerfrei belassen oder pauschal besteuert werden“.

Das LSG führte zu den verschiedenen Leistungsarten Unterschiedliches aus, vor allem zu der steuerlichen Bewertung der Leistungen. Dabei wies es auch darauf hin, dass Steuern und Sozialversicherungsbeiträge unterschiedliche Funktionen haben. Der Grundsatz der Parallelität von Steuer- und Beitragspflicht bestehe „nicht in der Weise, dass die Steuerfreiheit von Einnahmen zugleich die Beitragsfreiheit dieser Einnahmen zur Folge hätte“.

Im Übrigen aber stellte das LSG vorrangig auf die in § 17 SGB IV und § 1 SvEV geforderte „Zusätzlichkeit“ ab und bejahte diese. Mit dem Gehaltsverzicht hinsichtlich der Grundvergütung sei eine neue Vertragsregelung geschaffen worden, die unabhängig von den vereinbarten weiteren Leistungen sei, die wegen der Freiwilligkeit keinen neuen Gehaltsanteil darstellten: „Werden über arbeitsvertraglich geschuldete Leistungen hinaus freiwillige Leistungen des Arbeitgebers gewährt, ist das Zusätzlichkeitserfordernis in jedem Fall erfüllt.“

b)

Eben dieser Auffassung des LSG erteilt das BSG eine deutliche Absage. Es sei gerade nicht entscheidend, „ob die Beschäftigten auf die vereinbarten Zuschüsse einen arbeitsrechtlichen Anspruch haben. Alleine die Freiwilligkeit einer Zahlung begründet noch nicht deren Zusätzlichkeit.

Die Vereinbarung einer Gehaltsreduzierung einerseits und andererseits einer weiteren Leistung in einer dem Lohnverzicht entsprechenden Höhe lege es nahe, dass ein Surrogat für den Bruttolohnverzicht vereinbart worden sei. Es müssten dann besondere Umstände vorliegen, um trotzdem eine „zusätzliche“ Leistung mit der Folge der Sozialversicherungsfreiheit annehmen zu können. Dazu müsse nun das LSG ermitteln, unter anderem zum zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen den Vereinbarungen.

Darüber hinaus fordert das BSG zu den einzelnen Arten der Zusatzleistungen Feststellungen zur Zweckgebundenheit, des Vorliegens tatsächlich bei den Beschäftigten entstandener Ausgaben und zur pauschalen Besteuerung durch die Klägerin. Hinsichtlich der – nicht als freiwillig deklarierten - Restaurantschecks werden weitere Ermittlungen für erforderlich gehalten.

3.

Es wird deutlich, dass die Gestaltung von Gehaltsverzicht und Zusatzleistungen und ihre Verbindung keinen Automatismus zur Einsparung von Sozialversicherungsbeiträgen darstellen kann. Das BSG schiebt ausdrücklich einen Riegel vor die Konstruktion, deklarierte Freiwilligkeit bedeute Zusätzlichkeit. Außerdem macht es klar, dass hohe Anforderungen daran gestellt werden, Gehaltsverzichte und Zusatzleistungen zu vereinbaren.

Abgesehen davon, dass sich für Beschäftigte trotz vordergründig vielleicht höherem Nettolohn langfristig (zu wenig bedachte) Nachteile mindestens bei der Rentenhöhe ergeben können, verlangt das BSG nachvollziehbare Gründe für die arbeitsrechtliche Vertragskonstruktion; andernfalls drohen langwierige Verfahren und Nachforderungen.  Im jetzt vom BSG behandelten Fall ging es um eine Betriebsprüfung der Jahre 2014 bis 2017 – und der Prozess ist wegen der Zurückverweisung ans LSG noch immer nicht abgeschlossen.

Schon bei der Vertragsgestaltung sind die Dinge also sorgfältig zu prüfen und abzuwägen.

Aber auch der Rentenversicherung wäre bereits in der Betriebsprüfung frühzeitig eine detailliertere Aufklärung abzuverlangen gewesen, wie sie jetzt das BSG nachträglich vom LSG erwartet. Entsprechend hätte die Argumentation der Klägerin im Verfahren bereits detaillierter erfolgen können.

Plagemann Rechtsanwälte

Ansprechpartner:innen:

Martin Schafhausen, Prof. H. Plagemann, Thomas Franz, Jana Schäfer-Kuczynski

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