05.07.2019
Urteile der letzten Monate haben Bedeutung sowohl für die Verpflichtung von Unternehmen zur Künstlersozialabgabe als auch für versicherungswillige Künstler und Publizisten.
Nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) können sich Personen, die selbständig kreativ tätig sind, unter bestimmten Voraussetzungen als Künstler oder Publizisten in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung versichern und müssen dafür nur den „halben Beitrag“ zahlen (parallel zum „Arbeitnehmerbeitrag“ in Beschäftigungsverhältnissen). Die andere Hälfte (entsprechend dem „Arbeitgeberbeitrag“) wird durch einen Bundeszuschuss und durch die „Künstlersozialabgabe“ aufgebracht.
Die Künstlersozialabgabe ist von Unternehmen des Kulturbereichs zu zahlen (wie z. B. von Verlagen, Theatern, Orchestern). Aber auch alle Unternehmen, die Werbung und Öffentlichkeitsarbeit für andere Unternehmen betreiben (klassischerweise: Werbeagenturen), müssen auf Honorare, die sie an künstlerische oder publizistische freie Mitarbeiter zahlen, Künstlersozialabgabe entrichten. Und schließlich muss jedes Unternehmen (in einem weiten Sinn, also auch z. B. Behörden oder Vereine), das für sich selbst Werbung und Öffentlichkeitsarbeit betreibt und dabei in gewissem Umfang selbständige Kreative beauftragt, auf die an sie gezahlten Honorare Künstlersozialabgabe abführen.
Es gibt also eine große Zahl potentiell betroffener Einzelpersonen und Unternehmen. Hierzu sind in den letzten Monaten beachtenswerte Urteile ergangen.
1. Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21.11.2018 (L 6 R 5129/17)
Das Urteil betraf, zugespitzt zusammengefasst, die Frage, ob eine Werbeagentur in der Rechtsform einer GmbH auf das ihrem Geschäftsführer gezahlte Gehalt Künstlersozialabgabe zahlen musste. Die im Prozess dann verklagte Rentenversicherung hatte das im Rahmen einer Betriebsprüfung bejaht und für drei Jahre über 105.000 € nachgefordert.
Die Klage der GmbH hiergegen wies das Sozialgericht München ab. Auch das Bayerische LSG folgte der Klägerin nicht und wies deren Berufung zurück.
Im Detail wurde nicht nur der im Handelsregister eingetragene und mehrfach geänderte Unternehmensgegenstand geprüft (für den maßgeblichen Zeitraum: „Konzeption und Beratung auf dem Gebiet des Corporate Identity Designs, der Werbung, der Mediengestaltung und Medientechnik sowie Ausführung journalistischer Tätigkeiten, u. a. Pressearbeit, Mediaproduktion“) sondern es wurde einbezogen, dass der betroffene Gesellschafter und Geschäftsführer Kunst- und Medienwissenschaften sowie Kommunikationsdesign studiert hatte. Die Tätigkeitsbeschreibung sowie die Äußerungen der Kunden der GmbH auf deren Website wurden ebenso geprüft wie die von dem Geschäftsführer als Beispiel für seine Tätigkeit vorgelegten Unterlagen.
Entscheidend sei, ob etwaige künstlerische/publizistische Leistungen in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung auch der vertraglichen Vereinbarungen „der Tätigkeit das Gepräge geben“. Dies bejahte das LSG im entschiedenen Fall. Dabei wurde u.a. auch erörtert, wie strategische Elemente in der Kundenberatung zu bewerten seien.
Allerdings hat das LSG dann doch noch die „grundsätzliche Bedeutung der Sache“ anerkannt und das Bedürfnis bejaht, „die im Wege der Kasuistik vorgenommene weite Auslegung der Begrifflichkeiten des KSVG unter Einbeziehung neuer Unternehmensmodelle höchstrichterlich zu aktualisieren“.
Davon hat die Klägerin des Verfahrens offenbar Gebrauch gemacht: Das Verfahren ist jetzt beim 3. Senat des Bundessozialgerichts anhängig.
GmbHs, die sich im weitesten Sinn mit Werbung, Marketing, Kommunikations-beratung, Öffentlichkeitsarbeit befassen - insbesondere also Werbeagenturen - müssen bei Betriebsprüfungen mit der Frage rechnen, wie die an (selbständige) Gesellschafter und/oder Geschäftsführer gezahlten Vergütungen im Hinblick auf die Künstlersozialabgabe zu behandeln sind. Wie das Urteil zeigt, kann dies eine de-tailreiche Prüfung nach sich ziehen.
Dem geht die Klärung voraus, ob es sich wirklich um selbständige Geschäftsführer handelt oder nicht vielmehr Scheinselbstständigkeit vorliegt. (Dann fällt zwar keine Künstlersozialabgabe an, aber die ungleich höheren Sozialversicherungsbei-träge eines Beschäftigten.)
Da eine gesetzliche Pflicht von Unternehmen besteht, an selbständige Künstler und Publizisten gezahlte Honorare jedes Jahr zu melden, und da hierzu die Geschäfts-führer-Gehälter gehören können, sollten betroffene Unternehmen diese Frage prü-fen: Es ist nicht zu vernachlässigen, dass die Verletzung der Meldepflicht einerseits eine Ordnungswidrigkeit darstellt und andererseits auch zu erheblichen Säum-niszuschlägen neben der eigentlichen Nachzahlungspflicht führen kann.
2. Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 25.01.2019 (L 1 KR 105/17)
Hier ging es um einen professionellen Discjockey, der seine Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung anerkannt haben wollte; die Künstlersozialkasse hatte dies zweimal abgelehnt: Die Voraussetzungen lägen nicht vor. Die Tätigkeit könne nicht als künstlerisch angesehen werden; Unterlagen, die dies belegen könnten, seien auch auf Anforderung nicht eingereicht worden.
Das Sozialgericht Berlin hatte Auskünfte von drei Auftraggebern des Klägers eingeholt und die Klage dann abgewiesen.
Auch seine Berufung hatte keinen Erfolg. Das LSG wies die Berufung zurück und lehnte die Versicherung in der Künstlersozialversicherung ab.
Der Kläger hatte u. a. dargelegt, seine Tätigkeit erschöpfe sich nicht im bloßen Abspielen von Tonträgern. Er schaffe vielmehr neue Klangbilder und Kompositionen; beim Überblenden zweier verschiedener Musikstücke werde eine persönliche, nicht computerunterstützte Taktanpassung der Titel vorgenommen; er scratche auch zum Teil mit Erstellung eigener Rhythmusmuster. Auch indem er die Reihenfolge der Songs gestalte und damit eine Stimmung erzeuge, werde er künstlerisch tätig.
Dem LSG genügte dies nicht. Ein Discjockey, der lediglich ein Musikprogramm zusammenstelle, weitgehend unverändert abspiele und dazu verbindenden Text spreche, falle nicht unter den Künstlerbegriff. Auch beim Einflechten von Effekten wie z. B. Echo oder Hall handele es sich „schwerpunktmäßig um eine technische Arbeit“. Er „bedient sein Equipment, spielt aber grundsätzlich kein eigenes Musikinstrument“. Überwiegend eigenschöpferisch tätig werde er nicht.
Auch wenn es hier um den Wunsch des Klägers ging, sich selbst versichern zu können, bedeutet es umgekehrt aber auch, dass seine Auftraggeber das Honorar demnach nicht für eine künstlerische Tätigkeit zahlten, so dass darauf auch keine Künstlersozialabgabe zu zahlen ist (das war allerdings nicht Gegenstand des Rechtsstreits).
Man muss aus dem Urteil nicht schließen, dass Discjockeys generell nicht unter die Künstlersozialversicherung fallen können.
3. Urteil des Bundessozialgerichts vom 04.06.2019 (B 3 KS 2/18 R)
Auch hier ging es um den Versicherungswunsch einer Klägerin (und nicht um die Künstlersozialabgabe). Sie war als examinierte Theologin u. a. wissenschaftlich an einer Universität und als Lektorin und Redakteurin tätig gewesen. Später machte sie sich selbständig und verlangte von der Künstlersozialkasse die Feststellung ihrer Versicherungspflicht für eine Tätigkeit in verschiedenen Bereichen mit dem Schwerpunkt als Lektorin und Übersetzerin von Literatur (etwa 70 %; daneben u. a. Grafik Design/Layout, wissenschaftliche Autorin).
Die Künstlersozialkasse lehnte die Versicherungspflicht ab, weil es an der Erwerbsmäßigkeit der Tätigkeit fehle. Einkünfte für die Tätigkeiten einer „Indexierung“ und von „redaktioneller Unterstützung und Korrekturlesung“ reichten nicht aus. Im zweiten Jahr der Tätigkeit habe es nur eine ganz geringe Einnahme für das Korrektorat und die Formatierung einer Masterarbeit gegeben. Orthographische und grammatikalische Korrekturen seien aber nicht publizistischen Tätigkeiten im Sinn des Künstlersozialversicherungsgesetzes.
Sozialgericht Detmold und LSG Nordrhein-Westfalen hatten die Bescheide der KSK aufgehoben und die Versicherung der Klägerin festgestellt.
Wie sich dem Terminsbericht des BSG entnehmen lässt (die vollständigen Entscheidungsgründe sind noch nicht veröffentlicht), wurde die Revision der Künstlersozialkasse zurückgewiesen. Die Klägerin hatte auch beim BSG Erfolg. Ein genereller Ausschluss des Lektorats für wissenschaftliche Texte sei nicht gerechtfertigt. Hinsichtlich des „eigenschöpferischen Gehalts der Tätigkeit“ bestehe kein grundsätzlicher Unterschied zum stilistischen Lektorat. Auch bei Übersetzungen sei eine Differenzierung zwischen belletristischer und wissenschaftlicher Literatur grundsätzlich nicht angezeigt. Der Lektorenberuf gehöre regelmäßig zu den publizistischen Berufen.
Auch hier gilt, dass diese Aussagen auch von Bedeutung für die jeweiligen Auftraggeber im Hinblick auf die Künstlersozialabgabe sind.
Daneben trifft das BSG noch Aussagen, die für Berufsanfänger in einem künstlerischen oder publizistischen Beruf wichtig sind: Zwar gibt es eine Geringfügigkeitsgrenze im KSVG: Prinzipiell kann man dort nur versichert sein, wenn man im Kalenderjahr (voraussichtlich) mehr als 3.900 € aus künstlerischen und/oder publizistischen Tätigkeiten erzielt. Berufsanfänger können diese Grenze in den ersten drei Tätigkeitsjahren noch unterschreiten. Hier sei „eine in erster Linie in die Zukunft gerichtete Beurteilung der Erwerbsmäßigkeit notwendig“. Ob die Tätigkeit darauf ausgerichtet sei, könne sich zum Beispiel „aus der Konzeption der Tätigkeit, aus Werbemaßnahmen sowie aus beruflichen Kenntnissen und Erfahrungen ergeben“.
4. Beschluss des Bundessozialgerichts vom 24.01.2019 (B 3 KS 2/18 B)
Hier wandte sich ein Unternehmen, das Filmlizenzen an- und verkaufte und Filme produzierte, gegen die Heranziehung zur Künstlersozialabgabe. Es hatte regelmäßig einen Einzelunternehmer mit der Synchronisation von Filmen beauftragt. Der beauftragte Unternehmer seinerseits organisierte die Synchronisation, wählte die Synchronsprecher und Tonmeister aus, fungierte als Synchronregisseur und lieferte fertig synchronisierte Filme an das klagende Unternehmen ab. Auf die Honorare der von ihm beauftragten selbständigen Synchronsprecher führte er selbst Künstlersozialabgabe ab.
In einer 2009 begonnenen Betriebsprüfung durch die Rentenversicherung forderte diese von dem (später klagenden) Unternehmen auf das an den Synchronisations-Unternehmer gezahlte Honorar Künstlersozialabgabe von knapp 32.000 € (für 2004-2010) nach.
Die Klage vor dem Sozialgericht München und die Berufung vor dem Bayerischen LSG blieben erfolglos.
Für das LSG war eindeutig, dass das klagende Unternehmen nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KSVG ein Unternehmen war, das die „Herstellung von bespielten Bild- und Tonträgern“ betreibt, so dass damit dem Grunde nach Abgabepflicht bestand. Ausgenommen sind hier nur Unternehmen, die Ton- und Bildträger ausschließlich vervielfältigen (wie Kopierwerke).
Ebenso klar war für das LSG, dass auf das an den Synchronisationsunternehmer gezahlte Honorar Künstlersozialabgabe abzuführen war, auch wenn dieser selbst für die Synchronsprecher Künstlersozialabgabe zahlt. Hier liege keine „Doppelabgabe“ vor. Die Künstlersozialabgabe der Klägerin sei nämlich nicht (quasi nochmals) für die Leistung der Synchronsprecher zu erbringen, sondern dafür, dass der Unternehmer als Synchronregisseur aktiv „künstlerische Werke in Gestalt der synchronisierten Filmfassungen“ geschaffen habe. Es handele sich dabei um eine spezielle Form von Regie. Er habe selbst unter Einbeziehung der schöpferischen Einzelleistungen der Synchronsprecher „ein so genanntes Gesamtkunstwerk entstehen“ lassen.
Das LSG setzte aber auch noch hinzu, dass es die Unterwerfung des Honorars unter die Künstlersozialabgabe auch dann annehmen würde, wenn der Unternehmer „sich auf rein organisatorisch-technische Dinge ohne Mitwirkung an der Synchronarbeit beschränken würde“. Aufgrund seiner Regisseurausbildung sei von der Möglichkeit der künstlerischen Einwirkung auszugehen. Es müsse nicht „eigenhändig“ mitgewirkt werden. Insbesondere im Bereich Publizistik genüge es trotz der Mitarbeit von Dritten, die Gesamtverantwortung für das zu erstellende Werk innezuhaben und „jedenfalls“ die Möglichkeit zu besitzen, jederzeit auf Konzept und Gestaltung „steuernd oder korrigierend Einfluss zu nehmen“. Dabei stützte sich das LSG auf ein Urteil des BSG zu einem anderen Fall, in dem es um die Inhaberin einer Werbeagentur ging. Das LSG übernimmt auch den Ausdruck der „künstlerischen Oberleitung“.
Die Revision gegen seine Entscheidung ließ das Bayerische LSG (Urteil vom 24.01.2018, L14R820/14) nicht zu.
Dagegen wandte sich das klagende Unternehmen mit der Nichtzulassungsbeschwerde ans Bundessozialgericht (BSG) – ohne Erfolg.
In seinem Beschluss geht das BSG nicht noch einmal auf die einzelnen Argumente ein, die im Prozess eine Rolle gespielt hatten. Sondern es sah die Nichtzulassungsbeschwerde bereits als „unzulässig“ an, weil von Klägerseite die Zulassungsgründe nicht ordnungsgemäß dargelegt wurden.
Somit wurde die Entscheidung des Bayerischen LSG endgültig rechtskräftig.
Die rechtliche Formulierung von der „Oberleitung“ wird in der Rechtsprechung zur Künstlersozialabgabe gerne verwendet, um Tätigkeiten als künstlerisch oder publizistisch zu qualifizieren, auch wenn nicht unmittelbar „Hand angelegt“ wird. Zu dieser Sicht muss argumentiert werden, auch wenn man meint, eine Person sei an den künstlerischen oder publizistischen Prozessen gar nicht selbst beteiligt.
Zur Verjährung zeigt die Entscheidung im übrigen einmal mehr, dass es besonders lange unverjährte Zeiträume gibt: Faktisch sind in der Regel 5 Jahre bei Nachforderungen noch nicht verjährt. Vorliegend führte der Prüfbescheid aus dem Jahr 2011 nicht nur zu einer Nachforderung ab 2006, sondern – da die Prüfung bereits 2009 begonnen hatte – ab 2004. (Die lange Prüfdauer wurde im Prozess anscheinend nicht thematisiert).
Man sollte, um überraschende hohe Nachforderungen zu vermeiden, frühzeitig den Umgang mit der Künstlersozialabgabe prüfen.
Ursula Mittelmann