15.04.2021

Krankenversicherung - Frage nach „Anomalien“ bei Vertragsabschluss unzulässig: OLG Frankfurt (7 U 44/20)

1. Vor Abschluss einer privaten Krankenversicherung lassen sich die Versicherungsunternehmen zahlreiche Fragen zum Gesundheitszustand (Gesundheitsfragen) beantworten, um das Risiko abschätzen zu können, das der Versicherungsvertrag für sie bedeuten wird. Dies ist durchaus nachvollziehbar.

Werden hier Fragen falsch beantwortet, kann das später, vor allem bei der Erbringung der Versicherungsleistungen, zu Schwierigkeiten führen. Das Gesetz sieht ein abgestuftes System vor: von  Vertragsänderungen (Leistungsausschlüsse, Zuschläge für zusätzliche Risiken) bis hin zur Beendigung eines Vertrags (Rücktritt, Kündigung, Anfechtung wegen arglistiger Täuschung).

2.  Das OLG Frankfurt am Main hat in seiner Pressemitteilung  vom 14.4.2021 auf sein Urteil vom 24.03.2021 in einer solchen Sache hingewiesen. Das Urteil ist inzwischen auch veröffentlicht.

a)  In dem entschiedenen Fall ging es um die Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung der Tochter des Klägers.

Der Kläger  wollte im Jahr 2017 bei Abschluss seiner Krankenversicherung auch  seine damals neun  Jahre alte Tochter mitversichern. Dabei verneinte er für siedie Frage, ob in den letzten drei Jahren „Beschwerden, Krankheiten, Anomalien (auch Implantate (z. B. Brustimplantate) und/oder Unfallfolgen…), die nicht ärztlich … behandelt wurden“ bestanden.

Nach Vertragsabschluss brach die Tochter sich im Rahmen eines Unfalls einen Zahn ab. Und im Zusammenhang mit dieser Behandlung wurde dann festgestellt, es sei eine kieferorthopädische Behandlung nötig.

Die beklagte Krankenversicherung lehnte die Erstattung der Kosten für diese kieferorthopädische Behandlung aus verschiedenen Gründen ab. Der hier interessierende Ablehnungsgrund ist: Bei der Tochter des Klägers lag ein „Engstand der Backenzähne“ vor. Die Krankenversicherung sah hier eine „Anomalie“ im Sinn der Gesundheitsfragen. Sie stellte sich auf den Standpunkt:  Hätte der Kläger die Frage nach Anomalien mit „Ja“ beantwortet, hätte sie bei Vertragsabschluss einen Leistungsausschluss für kieferorthopädische Behandlungen vereinbart. Wegen dieser vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung müsse der Vertrag nun eben nachträglich dahingehend angepasst werden, dass ein Leistungsausschluss bestehe. Folglich müsse sie nicht zahlen.

Das Landgericht Gießen hatte am 7.2.2020 die Klage abgewiesen. 

b)  Das OLG hat jetzt dem Kläger in der Kernfrage Recht gegeben. (Soweit die Klage hinsichtlich eines Teilbetrags dennoch abgewiesen wurde, lag dies daran, dass nach dem Versicherungsvertrag ohnehin bestimmte Aufwendungen der Behandlungen nicht oder nur teilweise erstattungsfähig waren.)

Maßgebend für das OLG war, dass die Tochter des Klägers jedenfalls nicht an einer „Krankheit“ im versicherungsvertraglichen Sinn litt. Darunter sei ein anomaler Körper- oder Geisteszustand zu verstehen, „der eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt“. Die Krankenversicherung hatte sich aber ja auch nicht auf eine Krankheit berufen, sondern darauf, in dem Engstand der Backenzähne liege eine „Anomalie“.

Hier hebt das OLG hervor, dass diese Antragsfrage nach Anomalien „unklar“ sei. Das OLG verweist auf eine eigene frühere Entscheidung. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer sei nicht erkennbar, wo die Grenze zwischen bloßem „Schönheitsfehler“ und Anomalien zu ziehen sei. Vielmehr unterliege das der subjektiven Einschätzung.

Es heißt dann weiter:

„Fragen, die dem Versicherungsnehmer Wertungen abverlangen, sind unzulässig. Sie begründen deshalb keine Anzeigepflicht.“

Man könne nicht dem Versicherungsnehmer die Wertung aufgeben, sondern diese Wertung der Risikoerheblichkeit sei Sache des Versicherers. Er müsse „nach den einer Wertung zugrundeliegenden Tatsachen fragen“.

(Des Weiteren spielt in den Entscheidungsgründen des OLG u.a. noch eine Rolle, dass die beklagte Versicherung nicht nachgewiesen hatte, dass der Kläger überhaupt Kenntnis von dem Zahnengstand hatte.)

3.  Das OLG hat also eine für Versicherungsnehmer günstige Aussage zu dem Problembereich der Gesundheitsfragen bei Vertragsabschluss getroffen. Das bezog sich aber speziell nur auf die Frage nach etwaigen Anomalien. Die sonstigen Fragen nach Beschwerden und Krankheiten usw. – auch soweit nicht ärztlich behandelt - spielten keine Rolle.

Deshalb  bleibt darauf hinzuweisen, dass eine möglichst genaue Beantwortung der Gesundheitsfragen und gegebenenfalls Klärung empfehlenswert ist, um etwaige spätere Unsicherheiten zu vermeiden, die just dann auftreten, wenn man auf Versicherungsleistungen angewiesen ist. 

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Ursula Mittelmann

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