Haftung von Steuerberatern für falsche Beurteilung der Sozialversicherungspflicht bei der Lohnbuchhaltung? - Urteil des OLG Schleswig vom 30.11.2018 (17 U 20/18)

15.01.2019

1. Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig hatte über folgenden Fall zu entscheiden.

a) Die Klägerin, ein Unternehmen, hatte die beklagte Steuerberaterin im Januar 2011 mit steuerberaterischen Dienstleistungen beauftragt. Unter anderem sollte sie im Rahmen der Lohnbuchhaltung die buchhalterische Ersteinrichtung neuer Arbeitnehmer und die monatlichen Lohn- und Gehaltsabrechnungen der Arbeitnehmer der Klägerin vornehmen.

Für einen seit 01.03.2013 bei der Klägerin neu beschäftigten Mitarbeiter – der zu diesem Zeitpunkt bereits 65 Jahre und drei Monate alt war und damit die Regelaltersgrenze in der Rentenversicherung nach § 235 SGB VI bereits erreicht hatte – wurden von Anfang an keine Arbeitnehmeranteile zur Rentenversicherung, sondern nur der Arbeitgeberanteil zur Rentenversicherung gezahlt.

Dabei blieb es zunächst auch, nachdem ab 01.01.2015 ein anderes Steuerberater-Unternehmer die Tätigkeit von der Beklagten übernahm. (Dieser neuer Steuerberater-Gesellschaft verkündete die Beklagte im Prozess den Streit, worauf im Folgenden aber nicht näher eingegangen wird.)

b) Im Jahr 2016 führte die Deutsche Rentenversicherung eine Betriebsprüfung durch, beanstandete, dass nur die Arbeitgeberanteile zur Rentenversicherung abgeführt worden waren und forderte für die Jahre 2013 bis 2015 rund 19.000 € Arbeitnehmeranteile nach und außerdem Säumniszuschläge in Höhe von rund 5.400 €.

Begründung hierfür: Es ist zwar richtig, dass Altersrentner in der Rentenversicherung „versicherungsfrei“ sind, wobei aber dennoch (zur Vermeidung von „Wettbewerbsvorteilen“ von Rentnern auf dem Arbeitsmarkt) der Arbeitgeberbeitrag gezahlt werden muss. Das gilt aber nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI nur, wenn der betroffene Arbeitnehmer nicht nur die Regelaltersgrenze erreicht hat, sondern tatsächlich auch eine Vollrente wegen Alters bezieht. Komplizierter wird das noch dadurch, dass in der Arbeitslosenversicherung etwas anderes gilt als in der Rentenversicherung: Nach § 28 Abs.1 Nr. 1 SGB III genügt für die Versicherungsfreiheit tatsächlich das Erreichen der Altersgrenze; auf einen Rentenbezug kommt es nicht an.

Im entschiedenen Fall hatte der Mitarbeiter die Rente nicht beantragt und bezog auch keine Rente, sodass auch die Arbeitnehmeranteile zur Rentenversicherung hätten abgeführt werden müssen.

2.

a) Im Prozess war streitig, ob die Klägerin die beklagte Steuerberaterin über den Mitarbeiter ausreichend informiert hatte und ob nicht mindestens ein Mitverschulden der Klägerin an dem Fehler bestehe, da sie die Steuerberaterin nicht kontrolliert habe. Auch war fraglich, ob die Beklagte auch für den Zeitraum noch haftete, in dem sie gar nicht mehr für die Klägerin tätig war und ein neues Steuerberatungsunternehmen die Aufgaben übernommen hatte.

b) Das OLG hat den Schadensersatzanspruch bejaht.

- Das OLG sah es als „heute anerkannt“ an, dass ein steuerlicher Berater, der im Auftrag seines Mandanten die Lohnabrechnung besorge, grundsätzlich auch zu prüfen habe, ob für Arbeitnehmer eine Befreiung von der Versicherungspflicht in Betracht komme, wenn Beiträge nicht abgeführt werden. Andernfalls müsse er entweder auf die Abführung der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge hinwirken oder bei Zweifelsfragen die Einschaltung eines in Fragen des Sozialversicherungsrechts besonders ausgewiesenen weiteren Beraters empfehlen.

- Das OLG sah zwar die zu berücksichtigenden Regelungen im SGB („Zusammenspiel“ von SGB III und SGB VI) als nicht ganz einfach an, erwartete aber trotzdem, dass die Beklagte bei einem gerade 65 Jahre alt gewordenen Arbeitnehmer „hinreichendes Problembewusstsein“ entwickeln müsse, um entweder die erforderlichen Nachfragen zu stellen, oder gegebenenfalls „die Grenzen der eigenen Möglichkeiten zu erkennen und auf die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Spezialisten hinzuweisen“.

Die zwar nur eher spärlich von der Klägerin übermittelten Informationen hätten ja immerhin Sozialversicherungsnummer und Geburtsdatum enthalten. Angesichts dessen entspreche es nicht den „in einer derartigen Situation gebotenen Verhaltensstandards“, nicht nach einem etwaigen Rentenbescheid zu fragen oder jedenfalls die Klägerin auf eine solche Notwendigkeit hinzuweisen.

Dabei bezog das OLG auch ein, dass die Beklagte in ihrem aktuellen Internet-Auftritt dafür warb, gewerbliche Mandanten bei der Lohn- und Gehaltsabrechnung „von allen steuerlich- und sozialversicherungsrechtlichen Fragen (…) entlasten“ zu wollen.

- Hierauf stützte das OLG sich dann auch noch einmal bei der Frage, ob die Klägerin selbst früher den Fehler hätte bemerken müssen. Dies verneint das OLG; es könne angesichts des Werbeauftritts der Beklagten „nicht Aufgabe des Mandanten sein, seine Berater und Dienstleister gleichwohl kontinuierlich zu überwachen.

- Das OLG ging sogar so weit, dass die Beklagte auch zum Ersatz des Schadens verurteilt wurde, der nicht mehr in die Zeit ihrer Tätigkeit fiel. Anders hätte das OLG das beurteilt, wenn es „gerade Aufgabe der neuen Beratung gewesen wäre, etwaige Fehler der früheren Beratung aufzudecken und zu beseitigen“.

- Im Urteil wird dann auch noch auf die Frage der Verjährung eingegangen.

3. Das OLG Schleswig hat den Schadensersatzanspruch aus der „Schlechterfüllung des Vertragsverhältnisses über die Vornahme einer Lohnbuchhaltung“ abgeleitet. Es hat sich unter anderem auf frühere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) berufen.

Man muss allerdings sagen, dass es zu dieser Problematik auch andere Gerichtsentscheidungen gibt.

So haben etwa im Sommer 2018 das OLG Köln und das Landgericht Münster in von ihnen entschiedenen Fällen eine Schadensersatzpflicht der verklagten Steuerberater jeweils verneint und dabei ebenfalls Bezug auf Rechtsprechung des BGH genommen.

4. Die etwaige Haftung von Steuerberatern für eine fehlerhafte Beurteilung oder unterbliebene Beratung zu der Abführung Sozialversicherungsbeiträgen und zum Vorliegen von Versicherungspflicht könnte in nächster Zeit in einer bestimmten Konstellation an praktischer Bedeutung gewinnen: Eine Änderung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Sozialversicherungspflicht von Gesellschaftern, insbesondere GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführern, hat in etlichen Betriebsprüfungen zu erheblichen Nachforderungen geführt.

Wie die obigen Urteile zeigen, muss der Inhalt des Vertrags zwischen Steuerberater und Mandant, die tatsächlichen Gegebenheiten im Einzelnen und die anzuwendenden rechtlichen Regeln sorgfältig geprüft werden; eine einheitliche Rechtsprechung lässt sich derzeit noch nicht annehmen.

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