Das BSG (Bundessozialgericht) hat am 21.11.2024 in einem Fall entschieden, in dem ein Sozialhilfeträger für einen Heimbewohner teilweise die Pflegekosten trug. Um eventuell den Sohn auf Elternunterhalt in Anspruch nehmen zu können, sollte dieser dem Amt erst einmal Auskunft über sein Einkommen und Vermögen geben. Der klagte dagegen.
Das BSG gab dem Sohn nun Recht: Der Sozialhilfeträger hätte zunächst nur Auskunft über das Einkommen, nicht aber das Vermögen fordern dürfen. Vom Ergebnis der Auskunft hing es ab, ob in einem weiteren Schritt auch Auskunft über das Vermögen des Sohns hätte verlangt werden dürfen. Der Bescheid über die Auskunftsanforderung wurde nicht etwa entsprechend einschränkend ausgelegt, sondern das BSG sah den Bescheid insgesamt als rechtswidrig an und bestätigte das Urteil der vorausgehenden Instanz, das den gesamten Bescheid aufgehoben hatte.
Folgendes lässt sich näher dazu ausführen.
1. Wenn alte Menschen die Heimkosten trotz Leistungen der Pflegekasse aus eigener Kraft nicht tragen können, tritt unter bestimmten Voraussetzungen der Sozialhilfeträger mit Hilfeleistungen ein. Grundsätzlich besteht dann die Möglichkeit, dass das Sozialamt bei den Kindern der Heimbewohner:innen Regress nimmt. Wenn sie leistungsfähig sind, können sie zur Zahlung von Elternunterhalt verpflichtet sein; und ein solcher Elternunterhalt ist dann an das Sozialamt und nicht an die Eltern zu zahlen: Der Unterhaltsanspruch geht kraft Gesetzes auf den Sozialhilfeträger über.
2. In den vergangenen Jahren war es ruhiger um Fragen des Elternunterhalts geworden, da das Angehörigen-Entlastungsgesetz ab 01.01.2020 eine wesentliche Neuerung gebracht hat: Seither können Kinder zum Elternunterhalt nur noch dann herangezogen werden, wenn ihr jährliches Gesamteinkommen (geregelt in § 16 SGB IV) mehr als 100.000 Euro beträgt.
Dazu gab es noch weitere gesetzliche Präzisierungen: Es wird nicht automatisch bei allen geprüft, ob denn nun diese Jahreseinkommensgrenze überschritten ist. Sondern es gibt in § 94 SGB XII ein abgestuftes Verfahren:
Zunächst einmal wird vermutet, dass die Einkommensgrenze gerade nicht überschritten ist.
Um diese Vermutung zu widerlegen, darf der Sozialhilfeträger von den Leistungsempfänger:innen (also den betreffenden im Heim lebenden Eltern, noch nicht von den Kindern selbst) Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse zulassen.
Erst und nur wenn „hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze“ vorliegen, kann der Sozialhilfeträger von den Kindern unmittelbar Auskunft verlangen.
3. Im vorliegenden Fall erhielt der Heimbewohner vom Sozialhilfeträger monatlich rund 1.700 Euro an ungedeckten Heimkosten. Er war geschieden und die Eheleute hatten bereits Jahrzehnte vorher in einem Ehevertrag wechselseitig auf Unterhalt verzichtet. Die geschiedene Ehefrau musste sich daher nicht an den Heimkosten beteiligen.
Von den beiden Söhnen war einer Student (es gab also keine Anhaltspunkte für ein hohes Einkommen); von dem anderen forderte der Sozialhilfeträger in einem Bescheid umfassende Auskunft über Einkommen und Vermögen. Beigefügt waren verschiedene Vordrucke (u. a. auch zu etwaigem Wohneigentum und Mietobjekten), die vollständig auszufüllen seien. Auch Nachweise wurden verlangt. Bei Auskunftsverweigerung sei der Sozialhilfeträger gehalten, das Auskunftsersuchen mit Mitteln des Verwaltungszwangs (Zwangsgeld) vor den Zivilgerichten durchzusetzen. Das Verfahren begann bereits vor 2020. Durch Erklärungen im Prozess wurde aber geklärt, dass es ausschließlich um die Zeit ab 01.01.2020 und die ab da geltende Rechtslage gehen sollte.
4. Der Sozialhilfeträger stützte sich auf Ergebnisse einer Internet-Recherche, wonach der um Auskunft angegangene Sohn Chief Technology Officer (CTO) in einer Digital-Agentur mit 100 Mitarbeitern, einem hohen Honorarumsatz, mehreren Standorten und einem prominenten Kundenkreis sei. Angesichts der Führungsposition sei mit einem Einkommen über der Einkommensgrenze zu rechnen.
Der Sohn klagte gegen die Forderung nach Auskunftserteilung, machte keine konkreten individuellen Angaben, sondern behauptete dazu, seine Position sei nur die eines Entwicklungsleiters, dessen branchenübliches Bruttogehalt unter 100.000 Euro liege.
Das Sozialgericht Köln wies seine Klage ab.
Vor dem LSG Nordrhein-Westfalen hatte der Kläger dagegen Erfolg. In dessen Urteil wird im Einzelnen das gestufte Auskunftsrecht der Sozialhilfebehörden dargelegt. Solange nicht feststehe, dass das Einkommen die Einkommensgrenze überschreite, seien die Vermögensverhältnisse nicht relevant. Deshalb dürfe danach auch nicht gefragt werden.
Das LSG bejaht, dass der Sozialhilfeträger hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nur den Heimbewohner befragen, sondern auch aus anderen Quellen Informationen verwenden durfte, um Annahmen zum Einkommen zu treffen. Das LSG geht auf die Informationen ein, die sich aus dem Internet über den Arbeitgeber des Klägers schließen ließen. Die bloße Frage nach dem Einkommen hätte das LSG daher für zulässig gehalten. Da der Bescheid samt auszufüllenden Formularen aber umfassend auch Auskünfte zum Vermögen verlangte und insgesamt mit Sanktionen drohte, ohne dass der Kläger als Adressat hätte erkennen können, dass er auch nur Teile hätte beantworten könnten, hob das LSG den Bescheid insgesamt auf.
5. Wie sich aus dem Terminbericht des BSG vom 22.11.2024 ergibt, hat dieses die Sichtweise des LSG bestätigt.
Auch nach Auffassung des BSG hat zwar „nach vorläufiger Prüfung der Sachlage aufgrund erkennbarer Indizien aus öffentlich zugänglichen Quellen“ eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“ für das Überschreiten der Einkommensgrenze bestanden. Aber ein möglicher Unterhaltsanspruch der Eltern gegen ihr Kind könne eben nur auf das Sozialamt übergehen, wenn die Einkünfte tatsächlich die gesetzliche Grenze überstiegen. Nur dies dürfe in einem ersten Schritt geklärt werden. Umfassende Auskünfte auch zum Vermögen dürften aber erst in einem zweiten Schritt verlangt werden, wenn die 100.000-Euro-Grenze überschritten wäre. Der angefochtene Bescheid sei somit rechtswidrig. Und auch eine „geltungserhaltende Reduktion“ scheide aus (also eine Auslegung dahingehend, dass der Bescheid hinsichtlich eines nur aufs Einkommen bezogenen Teils bestehen bleiben könne).
Einzelheiten wird man dem vollständigen Urteil entnehmen können.
6. In der Entscheidung des BSG ging es ausschließlich um den Umfang von Auskunftsansprüchen. Darum, welche Höhe der Elternunterhalt rechnerisch letztlich haben kann, ging es in dem Verfahren noch nicht.
Wenn sich ergibt, dass die Einkommensgrenze überschritten ist – und nur dann -, kann allerdings durchaus auch die Höhe des Vermögens eine Rolle spielen. Denn dann ist eine umfassende Prüfung der Leistungsfähigkeit auf Grund der Einkommens- und Vermögensverhältnisse und der sonstigen Verpflichtungen möglich.
Diese Fragen der Höhe des Unterhaltsanspruchs sind Gegenstand nicht des Sozialrechts, sondern des Familienrechts. (Lediglich die Frage, ob sich eine besondere Härte im Einzelfall auf den Unterhaltsanspruch und den Übergang auf den Sozialhilfeträger auswirken kann, ist sowohl im Sozialrecht als auch im Familienrecht geregelt.) Aus diesem Grund ist für Entscheidungen darüber die Familiengerichtsbarkeit und nicht die Sozialgerichtsbarkeit zuständig.
Der Bundesgerichtshof hat in einem Beschluss vom 23.10.2024 – XII ZB 6/24 zu der Frage Stellung genommen, nach welchen Maßstäben die Unterhaltsansprüche der Eltern gegenüber ihren Kindern bei überschreiten der Einkommensgrenze von 100.000 € nach § 94 Abs.1a SGB XII zu bemessen sind. Einen Beitrag zu dieser Entscheidung finden Sie ebenfalls in der Rubrik Aktuelles.
Plagemann Rechtsanwälte
Ansprechpartner: Prof. Dr. Frank Ehmann