24.07.2025
Das Bundessozialgericht (BSG) hat am 22.07.2025 ein Urteil (B 12 BA 14/23 R) in einem Statusfeststellungsverfahren gefällt, in dem der Auftraggeber – ein Träger der öffentlichen Jugendhilfe – und die Auftragnehmerin – eine im Rahmen von Hilfen zur Erziehung eingesetzte Erzieherin – uneins über deren sozialversicherungsrechtlichen Status waren.
Die mit der Statusfeststellung befasste Rentenversicherung ihrerseits wechselte im Lauf des Verfahrens ihre Auffassung:
Zunächst stufte sie die Auftragnehmerin als abhängig beschäftigt und sozialversicherungspflichtig ein, wogegen der Jugendhilfeträger Widerspruch und später Klage erhob.
Dann erkannte die Rentenversicherung in diesem Klageverfahren die Selbständigkeit an, nachdem zuvor das BSG in einem anderen, jedoch vergleichbaren Fall eine solche Selbständigkeit bejaht hatte. Gegenüber der Auftragnehmerin nahm die Rentenversicherung die ursprünglichen Statusfeststellungsbescheide zurück und stellte auch ihr gegenüber fest, sie sei (doch) nicht abhängig beschäftigt.
Hiergegen ging nun wiederum die Auftragnehmerin mit Widerspruch und Klage vor.
In diesem neuerlichen Klageverfahren hat das BSG in seiner jetzigen Entscheidung die Selbständigkeit der Erziehungshelferin bestätigt. Das ergibt sich aus seiner Terminmitteilung vom 23.07.2025.
Überdies hat das BSG für rechtens angesehen, dass die Rentenversicherung nach Änderung ihrer Rechtsauffassung gegenüber der Erziehungshelferin kein Ermessen ausübte, bevor sie die zuvor erlassenen, anders lautenden Bescheide zurücknahm. Bei der Rücknahme habe es sich vielmehr um eine „gebundene“ Entscheidung gehandelt.
(In diesem Prozess ist Klägerin die Erziehungshelferin, die Beklagte ist die Rentenversicherung, und der Jugendhilfeträger ist „Beigeladener“.)
Folgendes lässt sich näher hierzu ausführen.
1.
Es ist eher zur Ausnahme geworden, dass das BSG in Auftragsverhältnissen Selbständigkeit bejaht. Der vorliegende Fall ist ein solcher Fall und setzt die Rechtsprechung aus dem Urteil vom 31.03.2017 (B 12 R 7/15 R) fort, das schon die Rentenversicherung zum Umdenken in der vorliegenden Sache bewog. Aus dem Terminbericht lässt sich zu einzelnen Kriterien (noch) nichts ersehen. Auch die endgültigen Entscheidungsgründe werden insoweit vermutlich nichts Neues enthalten: Das BSG verweist auf die „Gesamtabwägung der vom Landessozialgericht festgestellten, den Senat bindenden Feststellungen“. Danach habe auf der Basis von Entgeltvereinbarungen und individuellen Kostenübernahmeerklärungen eine weitestgehend weisungsfreie Tätigkeit vorgelegen, und die Klägerin sei „kaum bis gar nicht in die Arbeitsorganisation“ des Jugendhilfeträgers „eingegliedert“ gewesen.
Aus den Entscheidungsgründen des LSG (Urteil vom 24.08.2023, L 8 BA 13/20) lassen sich nähere Einzelheiten ersehen, u. a. dass das Jugendamt jeweils bei ihr anfragte, ob sie grundsätzlich Kapazitäten für die Annahme eines neuen Falls habe; in der Annahme sei sie frei gewesen. Es habe dann im Jugendamt ein Gespräch schon unter Beteiligung der Hilfesuchenden gegeben, dann noch ein Hilfeplangespräch mit der Formulierung gemeinsamer Ziele. Nur wenn alle einverstanden gewesen seien, habe es eine Kostenzusage gegeben; im Anschluss habe die Klägerin die Tätigkeit allein und frei gestaltet; die Jugendamtsräume wurden nicht mehr genutzt, sondern ihre Praxisräume oder Bereiche der Hilfeempfänger. Sie habe regelmäßige Berichte geschrieben, „auch um sich selbst abzusichern“, sei aber sonst nicht kontrolliert worden. An internen Besprechungen habe sie nicht teilgenommen. Geschildert wird auch, ob und wie die Vergütung bei Nichtwahrnehmung von Terminen oder in Krisensituationen gestaltet war. Der Stundensatz lag (wohl bereits in der Zeit ab 2011) bei 40 € bzw. 42 €. Um Schutzmaßnahmen habe sie sich selbst gekümmert, Fortbildungen selbst organisiert und gezahlt, ihr eigenes Kfz mit eigener Werbeaufschrift genutzt. Entgeltfortzahlung für Krankheit oder Urlaub habe es nicht gegeben.
Die Aussagekraft der Vergütungsregelungen hielt das LSG zwar für begrenzt; hinsichtlich aller sonstigen Kriterien befand es aber, die geschilderten Umstände sprächen „in ihrer Gesamtheit ganz überwiegend für eine selbständige Tätigkeit“, zumal Weisungen weder vereinbart noch faktisch erteilt worden seien. Daraus, dass der Jugendhilfeträger rechtlich die Gesamtverantwortung für die Erbringung von Erziehungshilfen nach dem SGB VIII habe, folge nicht, dass die Leistungen rechtmäßig nur in Beschäftigung ausgeübt werden könnten.
2.
Im Statusfeststellungsverfahren werden immer zwei Betroffene von den Entscheidungen der Rentenversicherung tangiert, die widerstreitende Interessen haben können. Deshalb müssen auch immer beide in allen Verfahren beteiligt werden. Es besteht ein Dreiecksverhältnis zwischen Rentenversicherung, Auftraggebern und Auftragnehmern. Eine Klage hat immer auch Auswirkungen auf den jeweils anderen Beteiligten; daher spricht man von „Drittanfechtungsklage“.
Im vorliegenden Fall wurde dies noch dadurch kompliziert, dass nacheinander Bescheide über zwei Zeiträume ergingen, zuerst ab 2015 und dann noch ab 2011. Der erste Bescheid ging durch ein Versehen der Rentenversicherung dem Auftraggeber zunächst nicht zu. Seine Widerspruchsfrist begann daher auch zunächst nicht zu laufen, während die Widerspruchsfrist für die Auftragnehmerin bereits abgelaufen war, als ihm der erste Bescheid schließlich mit dem zweiten zusammen zugestellt wurde. Der Auftragnehmerin gegenüber war der Bescheid also bereits „bestandskräftig“ geworden.
Als die Rentenversicherung ihre ursprünglichen Bescheide dann im Prozess des Auftraggebers ändern wollte, ergab sich die Frage, ob sie gegenüber der Auftragnehmerin ein „Ermessen“ ausüben und die besondere Situation berücksichtigen musste – mit dem Ergebnis, eventuell doch an der alten Bescheidung festhalten zu müssen.
Diese Auffassung hatte das Sozialgericht Fulda vertreten. In seinem Urteil vom 28.01.2020 (S 3 R 257/17) hob es die Rücknahmebescheide allein schon deshalb auf, weil die Rentenversicherung kein Ermessen ausgeübt hatte.
Das LSG stellte sich im Berufungsverfahren auf einen anderen Standpunkt und ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Revision zum BSG zu.
Und auch das BSG führte nun klar aus, dass zumindest in dieser Konstellation einer „Drittanfechtungsklage des vermeintlichen Arbeit-/Beschäftigungsgebers im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens“ kein Ermessen ausgeübt werden darf. Ziel sei gerade die einheitliche Klärung der Statusfrage. Eine Ermessensausübung „zugunsten des begünstigten Versicherten im Fall eines zulässigen und begründeten Rechtsbehelfs eines Auftraggebers hätte einer eindeutigen Ermächtigung bedurft, denn die Ausübung von Ermessen würde unter Umständen zu dessen Lasten gehen“. Eine solche - gesetzliche - Ermächtigung gibt es nicht.
3.
Erwähnenswert ist am Rande ein kurzer „Schlenker“, den das LSG in seinen Ausführungen zur „ungleichzeitigen Bekanntgabe“ der Bescheide macht. Bei der Klägerin habe eventuell durch ein Vertrauen in die vermeintliche Bestandskraft ein Schaden eingetreten sein können. Hierzu führt das LSG nur aus, das könne jedenfalls nicht im Rahmen der Entscheidung über die Bescheidrücknahme berücksichtigt werden – nämlich im Rahmen von (nicht auszuübendem) Ermessen. Ein etwaiger Schaden könne allenfalls „im Wege des Schadensersatzanspruches gegenüber der Behörde“ geltend gemacht werden. Aber dabei könne es eben nicht darum gehen, (gleichsam als Schadensvermeidung) einen fehlerhaften Bescheid zu Lasten des Auftraggebers aufrechtzuerhalten.
Weiteres musste das LSG hierzu nicht ausführen, da ein Schadensersatzanspruch nicht Gegenstand des Prozesses war. Entsprechend wird darüber im Terminbericht des BSG auch nichts erwähnt.
4.
Im Verfahren gibt es schließlich noch eine Besonderheit, die das LSG nur bei der Sachverhaltsdarstellung erwähnt: Der Jugendhilfeträger schloss seine Vereinbarungen nicht nur mit der Erzieherin persönlich, sondern später auch mit einer unter anderem von ihr gegründeten Therapeutischen Partnerschaftsgesellschaft. In welchen Zeitraum dies fällt, ist nicht klar ersichtlich. Ansonsten verwendet das LSG aber auch kein Wort hierauf (ebenso wenig wie das BSG in seinem Terminbericht). Da allerdings das LSG ohnehin Selbständigkeit annimmt, gab es nicht unbedingt einen Anlass, auch noch auf die Verträge mit einer Gesellschaft einzugehen.
Plagemann Rechtsanwälte
Ansprechpartner:innen
Martin Schafhausen, Dr. Jana Schäfer-Kuczynski, Prof. Dr. Hermann Plagemann