10.07.2024
Das Bundessozialgericht (BSG) hat am 05.06.2024 zwei Entscheidungen zur Ablehnung von Kurzarbeitergeld aus der Zeit der Corona-Pandemie getroffen. In beiden Fällen ging es darum, wie sich eine verspätete Antragstellung auf den Anspruch auswirkt.
Im einen Fall (B 11 AL 1/23 R) bestätigte das BSG die Ablehnung der Leistungen.
Im anderen Fall (B 11 AL 3/23 R) verwies das BSG die Sache zurück an das Landessozialgericht (LSG): Dies muss nun noch aufklären, ob der verspätete Eingang des Antrags bei der Agentur für Arbeit dem Antrag stellenden Unternehmen oder der Verwaltung zuzurechnen ist. In letzterem Fall käme dann in Betracht, den rechtzeitigen Eingang des Antrags zu fingieren („Zugangsfiktion“) oder dem Unternehmen durch eine „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ zu helfen.
1. Das Verfahren über die Bewilligung von Kurzarbeitergeld weist generell einige Besonderheiten auf:
2. Einzelheiten zu den entschiedenen Fällen anhand der Terminberichte (die ausführlichen schriftlichen Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor)
a) B 11 AL 1/23 R
Das klagende Unternehmen, das Lackierarbeiten an Flugzeugen und den Bau von Flugzeughallen betrieb, zeigte zu Beginn der Corona-Pandemie der Agentur für Arbeit an, die Gesamtbetriebstätigkeit von 48 Wochenstunden werde ab Mai 2020 auf Null reduziert, weil der einzige Kunde seine Produktion erheblich verringert habe. Die Agentur erließ am 03.06.2020 einen Anerkennungsbescheid für die Zeit ab 01.05.2020. Kurzarbeitergeld müsse noch beantragt werden und werde den vom Entgeltausfall betroffenen Arbeitnehmer:innen gezahlt, wenn diese die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllten.
Auf zwei Anträge für Mai bis Juli 2020, die fristgerecht am 31.08.2020 und 02.11.2020 bei der Arbeitsagentur eingingen, bewilligte diese Kurzarbeitergeld und erstattete pauschalierte Sozialversicherungsbeiträge, und zwar für die Arbeitnehmer:innen, die in den Kug-Abrechnungslisten aufgeführt waren.
Erst am 28.04.2021 beantragte das Unternehmen für Mai und Juli 2020 für insgesamt weitere 17 Arbeitnehmer:innen, die ursprünglich nicht in den Kug-Abrechnungslisten aufgeführt waren, Leistungen. Diese lehnte die Arbeitsagentur wegen Fristversäumung ab.
Das Unternehmen erhob Klage zum Sozialgericht Hamburg und stellte sich auf den Standpunkt, die ursprünglich eingereichten Anträge seien insgesamt zur Wahrung der Ausschlussfrist von 3 Monaten ausreichend, ohne dass es bereits im einzelnen der Angaben zu den Arbeitnehmer:innen und der Höhe der beantragten Leistungen bedurft hätte.
Die Klage blieb sowohl vor dem Sozialgericht als auch vor dem LSG Hamburg erfolglos.
Das BSG hat nun auch die Revision des klagenden Unternehmens zurückgewiesen.
Aus dem bloßen Anerkennungsbescheid allein könne das Unternehmen noch keine Rechte herleiten; der Bescheid bringe Sicherheit nur hinsichtlich der Anerkennung des Arbeitsausfalls und der betrieblichen Voraussetzungen. Die persönlichen Voraussetzungen bei den einzelnen Arbeitnehmer:innen müssten dann aber noch in der zweiten Stufe geprüft werden. Auch wenn der diesbezügliche Leistungsantrag grundsätzlich formlos gestellt werden könne und hierfür nicht das Formular der Arbeitsagentur genutzt werden müsse, müssten die Arbeitnehmer:innen doch gemäß dem Gesetz (§ 325 Abs. 3 SGB III) innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Monaten benannt werden. Diese Frist sei bei den nachgemeldeten Arbeitnehmer:innen nun einmal versäumt.
b) B 11 AL 3/23 R
In diesem Verfahren geht es um Leistungen für 3.240 Arbeitnehmer:innen in Höhe von über 1 Mio. Euro. Das Unternehmen, ein Handelsunternehmen mit stationären Filialen, hatte Kurzarbeit auf Grund einer behördlichen Schließungsanordnung im Einzelhandel festgesetzt und entsprechend seiner Anzeige bei der Arbeitsagentur von dieser in der ersten Stufe zunächst einen Anerkennungsbescheid ab 01.03.2020 erhalten.
Das Unternehmen versuchte dann am 23.06.2020, einen 250seitigen Antrag für März 2020 – also innerhalb der dreimonatigen Frist für diesen Monat - per E-Mail bei der Agentur für Arbeit einzureichen. Das scheiterte; die Arbeitsagentur berief sich telefonisch im Hinblick auf den Umfang der Datei auf die begrenzte Kapazität ihres Postfachs und verwies das Unternehmen auf den Postweg. Die noch am selben Tag zur Post gegebene Sendung ging jedoch erst zwei Wochen später, am 07.07.2020, bei der Arbeitsagentur ein, also nach Ablauf der Frist. Die Abläufe bei der Post waren zu dieser Zeit gestört.
Das Unternehmen beantragte am 14.07.2020 „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“; man habe mit einer rechtzeitigen Antragszustellung auch bei einigen Tagen Verzögerung rechnen dürfen.
Die Arbeitsagentur lehnte den Leistungsantrag wegen Fristversäumung ab. Die beantragte Wiedereinsetzung sei ebenfalls nicht möglich, weil es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist handele.
Im Klageverfahren berief das Unternehmen sich u. a. darauf, man müsse coronabedingten Besonderheiten gerecht werden; die Arbeitsagentur habe fehlerhafte Auskünfte über die Kapazität ihres E-Mail-Postfachs erteilt; sie sei im Übrigen nicht ihrer Pflicht nachgekommen, eine entsprechend funktionsfähige technische Infrastruktur vorzuhalten.
Das Sozialgericht Hamburg und auch im Berufungsverfahren das LSG Hamburg folgten den Argumenten des klagenden Unternehmens nicht, sondern bestätigten die Leistungsablehnung und verneinten Möglichkeiten einer „Reparatur“ der Fristversäumung, sei es über eine Wiedereinsetzung, sei es über eine „Nachsichtgewährung“.
Hier nun lässt das BSG eine andere Auffassung erkennen: Es komme eine Zugangsfiktion oder auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht.
Sei wie hier der Weg zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten eröffnet, so habe die Behörde diesen auch zu gewährleisten. Anderenfalls bedürfe es entsprechender Hinweise auf eine zwingende Form oder eine technisch bedingte Umfangsbegrenzung der übermittelbaren Dokumente. Fehle es hieran und folge die Unmöglichkeit der Übermittlung allein aus in der Sphäre der Verwaltung liegenden Gründen, etwa bei einem überfüllten Postfach, komme eine Zugangsfiktion in Betracht.
Dem Absender zuzurechnende Fehler bei der Übermittlung lösten hingegen keine Zugangsfiktion aus.
Reagiere die Verwaltung auf einen fehlgeschlagenen elektronischen Übermittlungsversuch mit Hinweisen zu einer technisch einwandfreien Übermittlung, müsse der Absender entsprechende zumutbare Maßnahmen und Versuche unternehmen. Komme es gleichwohl zu einer Fristversäumnis, seien die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung zu prüfen. Entgegen der Auffassung der unteren Gerichte sei deren Gewährung beim Kurzarbeitergeld nicht ausgeschlossen.
Allerdings sah sich das BSG nicht im Stande, selbst zu prüfen, ob das klagende Unternehmen ein Verschulden an der Fristversäumung treffe. Das müsse das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren (ebenso wie die weiteren, bisher nicht geprüften Leistungsvoraussetzungen) klären.
Plagemann Rechtsanwälte
Ansprechpartner: Martin Schafhausen