BGH – Private Berufsunfähigkeitsversicherung

– Beweiswürdigung (nur vermeintlich krank?)

- Beschluss vom 6.3.2019 (IV ZR 128/18) -

15.04.2019

Unterschiedliche Würdigung eines Sachverständigengutachtens durch Landgericht und Oberlandesgericht

1. Der Kläger, ein Sachbearbeiter im Innendienst eines Versicherungsunternehmens, macht mit seiner Klage Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung geltend: Er leide unter Beschwerden wie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Kopf- und Gelenkschmerzen, Hautirritationen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, und zwar aufgrund einer krankhaften Überempfindlichkeit gegenüber diversen, insbesondere in Büroluft vorhandenen Chemikalien (z. B. aus Deosprays, Parfüms, Ausdünstungen von Teppichklebern, Drucker-Tonerstaub oder mit Weichspülern gewaschener Kleidung).

2. Das Landgericht Köln holte hierzu ein umweltmedizinisches Sachverständigengutachten ein (schriftliches Haupt- und Ergänzungsgutachten und persönliche Anhörung) und kam zum Ergebnis, dass der Kläger zwar nicht wie beantragt seit 2004, aber seit Ende Februar 2014 nicht im Stande sei, seinen Beruf auszuüben. Die von ihm geschilderten Beschwerden stellten eine krankheitswerte Reaktion auf in der Umwelt vorhandene chemische Stoffe dar. Beide Parteien legten dagegen Berufung ein.

3. Das Oberlandesgericht Köln gab der Berufung der beklagten Versicherung statt und wies die Klage insgesamt ab. Es wertete die vom Landgericht eingeholten schriftlichen Gutachten aus (ohne sich mit den Erklärungen in der mündlichen Anhörung zu befassen) und verstand den Sachverständigen so, dass eine Erkrankung des Klägers nicht mit genügender Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sei: Der Sachverständige sei vielmehr so zu verstehen, dass der Kläger (nur) meine, krank zu sein, bzw. erwarte, krank zu werden (und deshalb ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten an den Tag lege).

4. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung ans OLG zurück.

Zwar stehe es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen eines Berufungsgerichtes, ob und inwieweit es eine in der ersten Instanz durchgeführte Beweisaufnahme wiederhole. Wenn es aber die Ausführungen eines Sachverständigen abweichend von der Vorinstanz würdigen wolle, insbesondere ein anderes Verständnis der Ausführungen des Sachverständigen zugrunde legen und damit andere Schlüsse aus diesen ziehen wolle, dann müsse der Sachverständige erneut angehört werden.

Hier verhalte es sich nicht anders, als wenn ein Berufungsgericht erstinstanzliche Zeugenaussagen abweichend beurteilen wolle.

Das Unterlassen der eigenen Anhörung des Sachverständigen durch das OLG sei auch entscheidungserheblich; Man könne nicht ausschließen, dass das OLG im Fall der Durchführung dieser erneuten Anhörung anders entschieden hätte.

Die Aussagen des BGH sind nicht auf Fragen einer Berufsunfähigkeitsversicherung beschränkt, sondern auf andere Fälle der Bewertung von Sachverständigenaussagen anwendbar.

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