13.01.2023

Beschäftigung von Altersrentner:innen - Arbeitgeberbeiträge trotz „Versicherungsfreiheit“ / Unternehmensnachfolge – Details (BSG Urt. v. 13.12.2022, B 12 R 3/21 R)

Am 13.12.2022 hat der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) u. a.  in zwei Prozessen über die Sozialversicherungspflicht in der Leitung von GmbHs  entschieden. Das eine der Verfahren enthält Details, die beachtenswert sind

-   für die Unternehmensnachfolge und die Übergabe an die nächste Generation

und

-   im Hinblick auf den Fachkräftemangel für die Beschäftigung von Altersrentnern.

Im Verfahren B 12 R 3/21 R wendete sich die klagende GmbH dagegen, dass die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund nach einer Betriebsprüfung von ihr Arbeitgeberbeiträge und Umlagen nachforderte, und zwar für eine ihrer Gesellschafterin-Geschäftsführerinnen, die im betroffenen Zeitraum (2013 bis 2016) bereits eine Regelaltersvollrente bezog.  

-    Zum einen war die klagende GmbH der Auffassung, dass die Gesellschafterin-Geschäftsführerin auch ab 2013 noch selbständig und nicht abhängig beschäftigt war: Sie hatte bis 2012  54 % der Gesellschaftsanteile gehalten und hielt ab 2013 noch 26 %. Neben ihr waren nun Sohn (35 %) und Tochter (9 %) und ein weiterer Gesellschafter (30 %) am Stammkapital beteiligt. Die tatsächlichen Verhältnisse hatten laut Klägerin durch die Übertragung von Anteilen aber nicht geändert werden, sondern lediglich das Unternehmen in die nächste Generation überführt werden sollen (dazu unten 1.)

-    Zum anderen stellte sich die Frage, ob nicht die Versicherungsfreiheit als Altersrentnerin Einfluss auf die Nachforderung haben müsse (dazu unten 2.).

1. Was die Frage der Selbständigkeit betrifft, gibt das BSG einen wesentlichen Teil des Revisionsvortrags wie folgt wieder: Die dem Schutz abhängig Beschäftigter dienenden Vorschriften würden „ad absurdum geführt, wenn eine Geschäftsführerin, die ihr Leben lang in anerkannter Weise bis ins Rentenalter sozialversicherungsfrei gewesen sei und ohne jede Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nur zur Überführung des Unternehmens in die nächste Generation Geschäftsanteile am Unternehmen übertragen habe, als abhängig beschäftigt angesehen würde.“

Dieser Gesichtspunkt wird vom BSG erst an letzter Stelle abgehandelt. In erster Linie sieht es die Kapitalbeteiligung von nun unter 50 % als maßgeblich an. In der Gesellschafterversammlung, die als ihr weisungsbefugt zu betrachten sei, habe die Gesellschafterin-Geschäftsführerin nicht (mehr) über eine Sperrminorität verfügt und damit habe es ihr an der erforderlichen Rechtsmacht gefehlt. Dass sie einzelne Gesellschafterbeschlüsse wie den über Kapitalerhöhungen oder die „Ein- und Abberufung von Geschäftsführern und Prokuristen“ habe verhindern können, genüge nicht für die Annahme der Selbständigkeit. Auch die fehlende Bindung an feste Arbeitszeiten wurde als unerheblich angesehen. Ebenso hielt das BSG die weiteren Besonderheiten des Einzelfalles für unwesentlich.

Da dies dem Vorgehen des BSG in einer Vielzahl weiterer bisher entschiedener Fälle zur Versicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern entspricht, soll das an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden.

Am Ende heißt es dann, auch der Einwand zur Gestaltung der Generationenfolge zwinge nicht zu einem anderen Ergebnis: Es hätten sich durch die Anteilsübertragung nicht nur die rechtliche Situation, sondern auch die tatsächlichen Machtverhältnisse geändert. Und es sei „für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung unerheblich, dass aufgrund familiärer Beziehungen faktisch eine gleichberechtigte Geschäftsführung des Unternehmens gelebt wird“. Es folgt die nun schon altbekannte Formel, eine „Schönwetter-Selbstständigkeit“ außerhalb gesellschaftsvertragsrechtlicher Bindungen sei „mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht zu vereinbaren“.

2. Interessant ist an dem Urteil darüber hinaus, dass das BSG die Zahlungspflicht des Arbeitgeberanteils für Altersrentner:innen als (weiterhin) verfassungsgemäß bezeichnet hat. Unabhängig von der Frage der weiteren Tätigkeit eines „Senior-Unternehmers“ in „seinem“ Betrieb dürfte im Hinblick auf den Fachkräftemangel und die längere Lebensarbeitszeit die Beschäftigung von Altersrentner:innen künftig zunehmen.

a) Grundsätzlich gelten Bezieher:innen einer vollen Regelaltersrente in der Renten- und Arbeitslosenversicherung als „versicherungsfrei“. Das ist auch nachvollziehbar, da der wirtschaftliche Sinn der Absicherung – Ersatz von Erwerbseinkommen im Alter oder bei Arbeitslosigkeit - für Rentenbezieher:innen nicht mehr zutrifft, da die Rente (jedenfalls prinzipiell) bereits einen Erwerbsersatz darstellt.

Dennoch waren Arbeitgeber:innen im fraglichen Zeitraum 2013 bis 2016 verpflichtet, Beiträge in Höhe des Arbeitgeberanteils zu zahlen – obwohl dem keine Leistungsansprüche bzw. Rentenerhöhungen gegenüberstanden. (Arbeitnehmeranteile fielen nicht an.)

(Was die Kranken- und Pflegeversicherung betrifft, lag im hier besprochenen Fall deshalb keine Versicherungspflicht vor, weil die Geschäftsführerin die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritt.)

Ab 01.01.2017 gab es Gesetzesänderungen:

-    Altersrentner:innen können nun auf ihre Versicherungsfreiheit verzichten. Dann werden auch die Arbeitnehmeranteile abgeführt und eingezahlt; und beide Anteile erhöhen entsprechend die Rente.

-    Zur Arbeitslosenversicherung muss kein Arbeitgeberbeitrag mehr gezahlt werden. Dies war allerdings befristet bis zum 31.12.2021. Inzwischen gilt wieder die alte Rechtslage.

b)   Das BSG hält die Regelungen für verfassungsgemäß.

Der Gesetzgeber habe einen großen Gestaltungsspielraum. Ein uneingeschränktes Äquivalenzprinzip (im Sinn von: Zahlungen müssen Anwartschaften/Ansprüche gegenüberstehen) existiere nicht.

Dem Sozialversicherungsrecht könne „nicht der Grundsatz entnommen werden, dass eine Beitragspflicht (eines Arbeitgebers) nur dann verfassungsgemäß ist, wenn sie individuell zu (höheren) Versicherungsleistungen (beim Versicherten)“ führt. Auch wenn die Beiträge den Beschäftigten weder zugeordnet werden noch ihnen „anspruchs- oder anwartschaftsbegründend oder -erhöhend“ zugute kämen und „nur“ der Versichertengemeinschaft zufließen, stehe das der Zuordnung zu den „Beiträgen“ nicht entgegen.

Der Gesetzgeber habe im streitigen Zeitraum den Zweck verfolgt, „Arbeitgebern den Anreiz zu nehmen, Altersrentner wegen ihrer Versicherungs- und Beitragsfreiheit zu beschäftigen. Zugleich wollte er einer Blockierung freier Arbeitsplätze durch versicherungsfreie Altersrentner entgegenwirken“. Mithin habe es sich um arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen gehandelt.

Es liegt auf der Hand, dass diese Zielsetzungen in der heutigen Wirtschaftslage eher befremdlich erscheinen. Das BSG hebt dazu jedoch hervor, dass eine neue Arbeitsmarktsituation zu keiner anderen Beurteilung geführt habe. Der Gesetzgeber habe - durch die oben beschriebenen Gesetzesänderungen - zum 01.01.2017 auf geänderte Verhältnisse in Folge der demographischen Entwicklung und des Fachkräftemangels reagiert.


Vorsorge in der Unternehmenspraxis:

1. In einer GmbH genügt die Stellung als Gesellschafter:in oder Geschäftsführer:in allein keineswegs, um Selbständigkeit anzunehmen. Um etwaige Nachforderungen zu vermeiden, ist – unter Einschluss auch der gesellschaftsvertraglichen Regelungen - immer zu prüfen, ob nach den Kriterien des BSG Sozialversicherungspflicht vorliegt.

Gerade bei einer Übertragung von Gesellschaftsanteilen an die nächste Generation müssen immer auch die sozialversicherungsrechtlichen Implikationen geprüft werden.

2. Bei der Beschäftigung von Altersrentner:innen darf die „Versicherungsfreiheit“ nicht dahin missverstanden werden, dass überhaupt keine Beiträge abzuführen sind. Es ist immer die (wechselnde, siehe oben) aktuelle Rechtslage zu beachten.

 Plagemann Rechtsanwälte


Ansprechpartner:innen:

Martin Schafhausen, Prof. Dr. Hermann Plagemann, Dr. Jana Schäfer-Kuczynski

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