02.04.2025
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 20.02.2025 die Entscheidungsgründe für sein bereits am 04.12.2024 verkündetes Urteil veröffentlicht, in dem es um die Rückabwicklung einer freien Mitarbeit geht (Aktenzeichen: 5 AZR 272/23). Diese arbeitsrechtliche Entscheidung hat auch einen starken sozialrechtlichen Bezug. Das BAG hat nicht abschließend entschieden, sondern die Sache ans Landesarbeitsgericht München (LAG) zurückverwiesen.
1.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft, die aus Zusammenschlüssen verschiedener ärztlicher Praxisgemeinschaften bzw. Medizinischer Versorgungszentren als deren Rechtsnachfolgerin hervorgegangen ist. Die Beklagte betreibt ein Schreibbüro und übte jahrelang für die Klägerin und deren Rechtsvorgänger verschiedene Tätigkeiten aus. Beide Parteien waren zunächst davon ausgegangen, dass es sich dabei um eine freie Mitarbeit handelte. Auf Grund einer anonymen Anzeige beim Hauptzollamt führte die Deutsche Rentenversicherung eine Überprüfung durch. Sie kam zum Ergebnis, es liege keine Selbständigkeit vor, sondern ein abhängiges sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis (also eine „Scheinselbständigkeit“), und forderte die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge nach.
Auf Grund dieser Entwicklung war die Klägerin der Auffassung, bei Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses hätte sie der Beklagten nur eine geringere Vergütung zahlen müssen, nämlich einen Stundenlohn von 14,80 € brutto, während tatsächlich unter der Annahme einer selbständigen Tätigkeit ein Stundensatz von 18,50 € zuzüglich Umsatzsteuer vereinbart und gezahlt worden war.
Die Klägerin verlangte nun in dem Prozess aus dem Gesichtspunkt einer „ungerechtfertigten Bereicherung“ von der Beklagten zu viel gezahltes Honorar und Umsatzsteuer in Höhe von zusammen rund 33.000 €. (Von der anfänglich noch erhobenen Forderung auch der gezahlten Arbeitnehmerbeiträge nahm sie später Abstand.)
2.
Arbeitsgericht und LAG wiesen die Klage ab. Sie stellten in erster Linie darauf ab, die einvernehmliche, aber irrtümliche Behandlung einer Zusammenarbeit als freie Mitarbeit begründe einen Vertrauenstatbestand. Erweise sich, dass tatsächlich ein Arbeitsverhältnis vorgelegen habe, seien Arbeitnehmer:innen in ihrem Vertrauen auf das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit geschützt. Arbeitgeber:innen handelten widersprüchlich und rechtsmissbräuchlich, wenn sie versuchten, den Arbeitnehmer:innen die erhaltenen Vorteile wieder zu entziehen. Anders liege es, wenn Mitarbeiter:innen selbst eine Klage auf Feststellung eines Arbeitsverhältnisses führten und eine entsprechende rechtliche Einordnung geltend machten. So verhalte es sich vorliegend aber nicht.
Zur Begründung dieses Ergebnisses stützten beide Gerichte sich auch auf Rechtsprechung des BAG.
3.
Das BAG hat die Urteile der unteren Instanzen indes nicht eindeutig bestätigt.
a) Zu der Kernfrage des geschützten Vertrauens der Arbeitnehmer:innen und des Einwands eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens von Arbeitgeber:innen fordert das BAG eine differenziertere Sichtweise. Dafür, ob ein schützenswertes Vertrauen entstanden sei, komme es maßgeblich auf die Umstände bei der Begründung des Rechtsverhältnisses gerade als freies Verhältnis und nicht als Arbeitsverhältnis an, aber auch auf die Modalitäten der Durchführung. Die bloße Hinnahme eines Vertragsschlusses über freie Mitarbeit und eine entsprechende Vergütungsgestaltung genügten in der Regel nicht. Eine Rolle könne spielen, ob der Auftraggeber vom Mitarbeiter in dem Glauben bestätigt worden sei, es liege kein Arbeitsverhältnis vor. Auch sei nicht jedes widersprüchliche Verhalten (hier: von Arbeitgeber:innen im Hinblick auf die Einordnung der Geschäftsbeziehung) eine unzulässige Rechtsausübung.
Für eine solche differenzierte Betrachtung habe das LAG aber die Tatsachen noch nicht ausreichend ermittelt. Eine Entscheidung sei dem BAG daher noch nicht möglich.
b) Auch weitere rechtliche Überlegungen fehlten dem BAG im Urteil des LAG: So hätte das LAG nicht aus den Feststellungen der Rentenversicherung automatisch das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses statt einer freien Mitarbeit schließen dürfen, sondern hätte dies eigenständig prüfen müssen. Die sozialversicherungsrechtliche Einordnung als Beschäftigung im Sinn von § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV umfasse zwar das Arbeitsverhältnis, sei jedoch nicht vollkommen deckungsgleich mit diesem!
c) Schließlich habe die Klägerin auch noch nicht ausreichend schlüssig zur Höhe ihrer Forderung vorgetragen, insbesondere nicht dazu, welche arbeitsrechtliche Vergütung warum geschuldet gewesen sei. Auch aus diesen Gründen müsse die Sache nochmals vom LAG bearbeitet und vorher die Parteien entsprechend angehört werden.
d) Eine klare Aussage allerdings trifft das BAG denn doch schon: Falls es dabei bleibe, dass ein Arbeitsverhältnis vorgelegen habe, dürfe die Klägerin die Umsatzsteuer jedenfalls grundsätzlich von der Beklagten zurückverlangen, die wiederum die Erstattung vom Staat erlangen könne (was der Bundesfinanzhof „Rückabwicklung übers Eck“ nenne). Dagegen könne es auch nicht den Einwand eines Rechtsmissbrauchs geben. Allenfalls wenn irgendwelche steuerrechtlichen Gründe einer Erstattung durch den Staat entgegenstünden, könne eine „Entreicherung“ der Beklagten vorliegen, die der klägerischen Forderung entgegenstehen könnte.
4. Anmerkungen:
a) Kommt die Rentenversicherung in einer Betriebsprüfung oder wie hier auf einen Verdacht hin zum Ergebnis, bei einem Dienstleistungsverhältnis handle es sich entgegen der Handhabung durch die Vertragspartner:innen nur scheinbar um eine Selbständigkeit (Scheinselbständigkeit), tatsächlich aber um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, bedeutet das in erster Linie eine Belastung der betroffenen Auftraggeber:innen durch die Nachforderung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen, häufig für einen langen Zeitraum und häufig zuzüglich Zinsen. Dies ist ein sozialrechtlich geregelter Vorgang. Der Rückgriff der Arbeitgeber:innen gegenüber den Arbeitnehmer:innen auf die Arbeitnehmerbeiträge ist auch dann, wenn der Vertrag weiterhin besteht, nur eingeschränkt möglich. Ein Rückgriff ist nur bei den der nächsten Entgeltabrechnungen möglich.
Aber auch die Auftragnehmer:innen können von Forderungen betroffen sein – wenn Auftraggeber:innen der Meinung sind, sie hätten eine geringere Vergütung gezahlt, wenn man von Beginn an eine abhängige Beschäftigung vereinbart hätte. Entsprechende Rückforderungen überzahlten Honorars sind arbeitsrechtlich abzuwickeln. Auch unabhängig von einer sozialversicherungsrechtlichen Vorgeschichte kann von den Arbeitsgerichten geprüft werden, ob ein Arbeitsverhältnis – mit all seinen arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften – vorliegt. Solchen Prozessen liegt dann zumeist ein Dienstverhältnis zu Grunde, in dem Dienstleistungsverpflichtete (nachträglich) als Arbeitnehmer:innen behandelt werden wollen. (Jüngst hat das BAG etwa die beantragte Einstufung eines Betreibers einer Autowaschstraße, der dabei im Namen und für Rechnung eines anderen Unternehmens tätig wurde, als dessen Arbeitnehmer abgelehnt: Urteil vom 12.11.2024, 9 AZR 205/23).
b) Das BAG hat (erneut) festgehalten, dass sozialversicherungsrechtliche Feststellungen einer abhängigen Beschäftigung nicht automatisch auch arbeitsrechtlich das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses bedeuten. Diese fehlende Einheitlichkeit ist immer wieder unbefriedigend.
c) Was Rückforderungen gegen Arbeitnehmer:innen betrifft, hat das BAG die Erwartung an eine klare und einfache Regelung enttäuscht.
In einem früheren Urteil (26.06.2019, 5 AZR 178/18) hatte das BAG dem dortigen Beklagten gegenüber der Rückforderung des Arbeitgebers keinen Vertrauensschutz aus der vormaligen Behandlung als freien Mitarbeiter zugestanden, weil dieser selbst nach seiner eigenen Kündigung ein sozialrechtliches Feststellungsverfahren eingeleitet und in diesem Verfahren „seinen Status als freier Mitarbeiter für die Zeit der gesamten Beschäftigungsdauer ausdrücklich in Abrede gestellt“ hatte. „Jedenfalls bei dieser Sachlage“ habe er damit rechnen müssen, dass der Arbeitgeber sich die sozialrechtlichen Feststellungen (entgegen ursprünglicher Handhabung) zu eigen mache „und in vergütungsrechtlicher Hinsicht die Rückabwicklung des Rechtsverhältnisses als Arbeitsverhältnis betreibt“.
Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte dagegen an dem Status als freie Mitarbeiterin durchgängig festgehalten. Das Vertragsverhältnis endete: Sie lehnte es ab „auf Lohnsteuerkarte“ zu arbeiten. Im Prozess hielt sie an der Selbständigkeit im Rahmen ihres Schreibbüros fest. Eine eindeutige und klare Lösung wäre es gewesen, wie das LAG in einem solchen Fall grundsätzlich Vertrauensschutz zu bejahen. Dies auch unter dem Gesichtspunkt, dass ein selbständiges Verhältnis nicht nur auf Seiten der Arbeitgeber:innen Vor- und Nachteile hat: Die Auftraggeber:innen mögen ein höheres Honorar als an abhängig Beschäftigte zahlen; aber die Auftragnehmer:innen verzichten u. a. auf Kündigungsschutz, bezahlten Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Mutterschutz.
Die vom BAG geforderte weitere ziselierende Prüfung aller möglicher Umstände im Hinblick auf Vertrauensschutz macht die Einordnung dagegen schwer vorhersehbar. Es wäre bedenkenswert, solche weiteren Abwägungen allenfalls Zeiträumen vorzubehalten, in denen Auftragnehmer:innen die Anerkennung eines abhängigen Status fordern – dann eben mit deren rechtlichen Konsequenzen.
d) Wer sich als Arbeitgeber:in in einer entsprechenden Situation findet und von – nachträglich als solchen eingestuften - Arbeitnehmer:innen Erstattungen verlangen möchte, muss hierfür im Prozess besondere Sorgfalt walten lassen. Das BAG hat sehr deutlich gemacht, dass allgemeine Behauptungen dazu, wie hoch das Gehalt gewesen wäre, nicht ausreichen. So hatte die Klägerin sich im vorliegenden Fall für die „übliche“ Stundenvergütung auf die Entlohnung einer bestimmten Gruppe Medizinischer Fachangestellter im Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit gestützt. Eine Begründung dafür, warum gerade dies die Tätigkeit der Beklagten treffend erfasse, vermisste das BAG.
Auf Seiten von Arbeitnehmer:innen ist die Darlegung im Einzelnen auf Schlüssigkeit und Widerlegbarkeit zu prüfen. Auch ist zu überlegen, ob mit Gegenforderungen wie Urlaubs- oder Feiertagsvergütung und ähnlichem geantwortet werden kann.
e) Jedenfalls dürfte es sich schon angesichts all dieser Schwierigkeiten solcher nachträglicher Prozesse empfehlen, bereits zu Beginn eines Dienstverhältnisses möglichst große Klarheit über den Status zu schaffen. Insbesondere das Sozialrecht bietet dazu Möglichkeiten. Mit vorbeugend gemeinten Formulierungen in Verträgen allein ist es meist nicht getan.
Plagemann Rechtsanwälte
Ansprechpartner:innen:
Martin Schafhausen, Thomas Franz, Katja Baumann-Flikschuh, Leah Weiss