23.06.2023
Das BSG hat für Rettungssanitäter den Weg frei gemacht zur Anerkennung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Berufskrankheit (BK). Das ergibt sich aus dem Terminbericht des Gerichts. Zwar wurde das Verfahren noch einmal an die untere Instanz zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen. Aber die Grundlagen für eine Anerkennung sind offenbar geschaffen (B 2 U 11/20 R).
1. Der Kläger des Verfahrens ist ein Rettungssanitäter, bei dem 2016 u.a. eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde. Nach dem Entlassungsbericht einer Reha-Klinik der Deutschen Rentenversicherung begannen die psychischen Symptome der Erkrankung, nachdem der Kläger nach zwei Amokläufen als Helfer eingesetzt war, und nach dem Suizid zweier miteinander befreundeter Mädchen.
Die Anerkennung einer Berufskrankheit war abgelehnt worden. Auch Klage und Berufung waren gescheitert. Nun hatte das BSG sich im Revisionsverfahren damit zu befassen.
2. Im deutschen Sozialrecht genügt für die Anerkennung einer Berufskrankheit nicht die bloße Feststellung, dass eine Erkrankung im und durch den Beruf entstanden sein könnte. Vielmehr gilt das „Listen-Prinzip“: Anerkannt werden kann nur, was die Bundesregierung nach Unterstützung durch einen Ärztlichen Sachverständigenbeirat durch Rechtsverordnung in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen hat. Auf dieser Liste gibt es vor allem Erkrankungen durch physische Einwirkungen, wie Metalle, Stäube, chemische Stoffe, oder auch durch Strahlen oder Lärm, oder auch durch mechanische Einwirkungen wie Vibrationen. Eine für den aktuellen Fall „passende“ Berufskrankheit ist in der Liste nicht aufgeführt.
Was nicht Eingang in die Liste gefunden hat, kann aber nach § 9 Abs. 2 SGB VII ausnahmsweise dennoch „wie“ eine Listenkrankheit („Wie-BK“) anerkannt werden, wenn „nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft“ die Voraussetzungen erfüllt sind (aber Sachverständigenbeirat und Regierung eben nicht ausreichend schnell tätig geworden sind).
3. Eine erste Verhandlung der Klage des Rettungssanitäters fand am 6.5.2021 statt. Damals sah das BSG sich noch nicht dazu imstande zu entscheiden. Es hielt zunächst ein Sachverständigengutachten zum Auftreten und zu Ursachenzusammenhängen von PTBS in der Berufsgruppe der Rettungssanitäter für erforderlich. Denn nach § 9 Abs. 1 SGB VII kann eine Krankheit nur dann als Berufskrankheit angesehen werden, wenn sie
durch besondere Einwirkungen verursacht wird, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.
Das Gutachten lag nun vor. Auf dieser Grundlage nahm das BSG an, dass Rettungssanitäter gegenüber der übrigen Bevölkerung einem erhöhten Risiko der Konfrontation mit traumatisierenden Ereignissen ausgesetzt sind und dass solche Erlebnisse abstrakt-generell nach dem Stand der Wissenschaft Ursache einer PTBS sind.
Mit diesen „neuen“ Erkenntnissen hat sich der Verordnungsgeber laut BSG bisher nicht befasst; es habe nicht einmal eine Vorprüfung durch die zuständigen Gremien stattgefunden. Die Ablehnung einer Wie-BK sei daher rechtswidrig gewesen.
Das BSG hat dem Kläger nur deshalb nicht umgehend Recht gegeben, sondern die Sache ans LSG zurückverwiesen, weil es über die Feststellung eines generellen Ursachenzusammenhangs hinaus noch individueller Feststellungen zur Situation des Klägers bedurfte.
4. Es liegt nahe, dass die Entscheidung auch Bedeutung für ähnliche Berufe entfalten kann wie etwa Feuerwehrleute oder Notärzt:innen.
In einer Entscheidung vom 15.09.2021 hatte das LSG Sachsen (L 6 U 242/18) einem Lokführer zugesprochen, seine Posttraumatische Belastungsstörung sei Folge eines Arbeitsunfalls: Sein Zug hatte eine auf dem Gleis stehende Person erfasst, die noch am Unfallort starb. Allerdings unterscheiden sich die Anforderungen an die Anerkennung eines Arbeitsunfalls von denen an die Anerkennung einer Berufskrankheit. Zwar muss natürlich eine Kausalität bestehen; aber auf den Nachweis des erhöhten Risikos für die Berufsgruppe kommt es nicht an. Insofern bedeutet die jetzige Entscheidung des BSG in der Tat eine Neuerung.
Plagemann Rechtsanwälte
Ansprechpartner:innen: Prof. Dr. Hermann Plagemann, Dr. Jana Schäfer-Kuczynski, Martin Schafhausen